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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Worte.
    Vor zwanzig Jahren war unser Gouvernement eines von vielen gewesen: Armut, Suff, Unwissenheit, Behördenwillkür, Raubüberfälle auf den Landstraßen. Kurzum, das gewöhnliche Leben in Russland, das sich in allen Teilen unseres unermesslichen Imperiums mehr oder weniger ähnelte. Das Leben verlief nach einer ein für alle Mal festgelegten Ordnung.
    Wollen mal sagen, ein Kaufmann hat vor, seine Waren auf dem Fluss oder durch den Wald zu transportieren. Als erstes besucht er den richtigen Mann (er weiß, wer das ist in seinem Landkreis) und führt den zehnten Teil an ihn ab, dann kann er beruhigt aufbrechen, und niemand wird ihn anrühren oder behelligen – kein Räuber, kein Polizist, kein Akziseeinnehmer. Unterlässt er diesen Besuch und hofft er auf seine starke Eskorte oder auf das berühmte russische Wird-schon-gut-gehen, so ist er selber schuld an den Folgen. Vielleicht kommt er ja ungeschoren durch den Wald, vielleicht aber auch nicht. Und auf dem Fluss kann ihm, insonderheit bei Nacht, auch alles Mögliche zustoßen, noch dazu in der starken Strömung.
    Wenn jemand in der Stadt einen Laden oder eine Schänke aufmachen will, ist es dasselbe Lied. Er muss mit dem richtigen Mann sprechen, ihm den zehnten Teil in Aussicht stellen, und schon lässt Gott sein Geschäft florieren. Der Sanitätsarzt benörgelt nicht die Fliegen auf der Theke noch die Ratten im Keller, und der Steuerinspektor gibt sich mit einem kleinen Obolus zufrieden.
    Jeder weiß Bescheid über den richtigen Mann, der Polizeichef und der Staatsanwalt und der Reviervorsteher, aber niemand behindert ihn in seinen Geschäften, weil der richtige Mann mit aller Welt gut Freund oder gar verwandt und verschwägert ist.
    Es ist vorgekommen, dass aus der Hauptstadt ein redlicher Natschalnik hergeschickt wurde, der nicht nur redlich, sondern auch tüchtig und entschlossen war und die feste Absicht hatte, reinen Tisch zu machen und alsbald ein Reich der Ordnung und Gerechtigkeit zu errichten, aber auch solchen Adlern wurden im Transwolgaland rasch die Flügel gestutzt, wo es anging – im Guten, mit Geschenken oder anderen Liebenswürdigkeiten, und wenn der Mann ganz unbestechlich war, mit Verleumdungen, zumal an Zeugen kein Mangel war, der richtige Mann brauchte nur zu pfeifen, und schon wurde üble Nachrede verbreitet.
    Vor dreißig Jahren kam ein Polizeimeister in unsere Stadt, das war noch vor dem verstorbenen Gulko. Der war vollkommen unbestechlich. Die ganze Polizei hat er umgekrempelt: etliche rausgeworfen, andere vor Gericht gestellt, die übrigen zum Zittern gebracht. Das schuf Aufregung, das verletzte alte, zuverlässig funktionierende Beziehungen. Über kurz oder lang wagte sich dieser Robespierre an die »richtigen Leute« heran, er war so verwegen. Aber das setzte seinem Wüten ein Ende. Er ging mit seinen Kollegen auf die Entenjagd, da schlug das Boot um. Alle retteten sich schwimmend an Land, nur der Chef hatte kein Glück. Lediglich ein halbes Jahr lang hatte er bei uns sein Unwesen getrieben. Und das war der Polizeimeister, ein großer Mann! Mit einem Kreispolizeichef oder Untersuchungsführer, wenn sie nicht spurten, wurde einfacher verfahren: nachts ein Knüppel über den Kopf oder ein Schuss aus dem Gebüsch, und fertig. Das wurde den Räubern in die Schuhe geschoben, an denen in unseren Wäldern kein Mangel war. Die Polizei ermittelte zum Schein ein wenig und schloss dann die Akte. Aber was erzähle ich so lange davon, das ist Zeitverschwendung. In jedem Gouvernement gibt es solche Geschichten zuhauf.
    Aber dann war aus Petersburg Mitrofani als Bischof zu uns gekommen, zum zweiten Mal und diesmal endgültig. Vor nunmehr fast zwanzig Jahren. Er kannte bereits die hiesigen Sitten und Gebräuche und ging daher nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern begann mit seiner stillen Behörde: redete den Popen ins Gewissen, sich nicht bestechen zu lassen, und führte in den Klöstern strenge Regeln ein. Einige Geistliche versetzte er, andere ermahnte er, überdies hatte er aus der Hauptstadt Welt – und Klostergeistliche mitgebracht, junge Akademiker.
    In den Kirchen und Gemeinden wehte nun ein anderer Wind. Priester und Kleriker waren nicht mehr betrunken, predigten verständlich, nahmen Spenden nur in dem vorgeschriebenen Umfang. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, es brauchte schon seine zwei bis drei Jahre. Diese Neuerungen raubten anfangs niemandem den Schlaf, nicht den richtigen Leuten noch den diebischen Natschalniks.

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