Akunin, Boris - Pelagia 01
barhäuptig, im Nachthemd, ein Tuch über die Schultern geworfen. Wahrscheinlich das Zimmermädchen. Die Augen waren geschlossen, der Mund stand etwas offen. Die Haare sahen seltsam aus, an den Enden hell, doch oben, über der Stirn, schwarz und glänzend. Pelagia fasste hin – und zog die Hand mit einem Schrei zurück. Nass. Ihre Finger sahen nun auch schwarz aus. Blut!
Das Zündholz erlosch, und Pelagia wich auf allen vieren zurück zum Fenster. Die Brille fiel leise klirrend zu Boden, aber nach ihr suchen mochte sie nicht.
Aus dem Fenster klettern und Hals über Kopf weglaufen von diesem schrecklichen schweigsamen Haus!
Aber da war wieder der Laut von vorhin – die leise, gleichsam rufende Stimme. Nur war jetzt zu hören, dass es kein Rufen und kein Singen war, sondern ein schwaches Stöhnen. Es kam aus dem dunklen Innern des Hauses, und da konnte sie nicht davonlaufen.
Mit stockendem Herzen richtete sich Pelagia auf, zeichnete ein winziges Kreuz über ihre linke Brusthälfte und betete in Gedanken zu ihrer Schutzpatronin, der heiligen Pelagia, die sie nur in äußerster Not anzurufen pflegte:
»Bitte Gott für mich, heilige Gottesdienerin Pelagia, an die ich mich voll Inbrunst wende, hilf mir und bete für meine Seele . . .«
Und da half ihr die Gottesdienerin, die schöne Römerin, die verbrannt worden war. Ein schwaches Wetterleuchten erhellte für einen Moment die Finsternis, und Pelagia erblickte auf dem Fensterbrett einen Messingleuchter mit einer Kerze. Das war ein gutes Zeichen, es kräftigte ihre Seele.
Das erste Zündholz zerbrach in ihren zitternden Fingern, das zweite auch, erst das dritte setzte die Kerze in Brand, und die Nonne konnte jetzt Umschau halten.
Das Erste, was ihr ins Auge fiel, war ein deutlicher Stiefelabdruck auf dem Fensterbrett mit der Spitze nach innen. Pelagia wandte dem Fenster den Rücken zu und hob die Hand mit dem Leuchter höher. Jetzt war zu sehen, dass der Kopf des Zimmermädchens in einer dunklen Lache lag. Die verlorene Brille blinkte. Pelagia hob sie auf, fand das linke Glas gesprungen, hatte aber keine Zeit, sich zu ärgern.
Folgendes Bild zeichnete sich ab. In der Nacht, als im Hause schon alles schlief, war jemand durchs Fenster eingestiegen und hatte wohl Lärm gemacht. Das Zimmermädchen war nachsehen gekommen, und der Eindringling hatte sie mit einem schweren Gegenstand auf den Kopf geschlagen.
Pelagia hockte sich hin und berührte mit dem Finger die Schläfe, um die Ader zu fühlen. Doch die pulsierte nicht, das Mädchen war tot. Die Nonne murmelte ein Gebet, aber ohne Inbrunst, sie horchte.
Wieder das Stöhnen. Ganz nah, vielleicht zehn Schritte.
Sie machte einen Schritt, einen zweiten, einen dritten, bereit, beim ersten Anzeichen einer Gefahr die Kerze hinzuwerfen und zurückzustürzen zum offenen Fenster.
Vor ihr war eine dunkle Türöffnung.
Der Korridor?
Pelagia machte noch einen Schritt und erblickte Naina Telianowa.
Die Fürstin lag im Korridor auf dem Fußboden, gleich neben dem Salon.
Sie trug ein leichtes Neglige und ein Spitzenhäubchen. Ein bestickter Samtpantoffel lag abseits. Weiter hinten war eine Tür zu erkennen, die wohl ins Schlafzimmer führte. Aber Pelagia hatte keine Zeit, sich umzusehen, denn Nainas Häubchen war von Blut durchtränkt, die großen Augen der Herzensbrecherin blickten starr nach oben, darin spiegelten sich zwei Lichtpünktchen. Und dann sah die Schwester noch einen großen Stein, der auf dem Fußboden lag. Unwillkürlich dachte sie an den toten Sakussai unter dem Bäumchen und bekreuzigte sich.
Naina Telianowa lebte noch, aber es ging mit ihr zu Ende, das begriff die Nonne sofort, als sie mit den Fingern den scharfen Rand der eingeschlagenen Schädeldecke berührte. Einst während ihrer Novizenzeit hatte Pelagia im Klosterspital gearbeitet, so dass sie einige medizinische Erfahrung besaß.
Die langen Wimpern zuckten, der Blick der Sterbenden richtete sich langsam, gleichsam widerwillig auf die Nonne.
»Ah, Schwester Pelagia«, sagte die Fürstin kein bisschen verwundert, sie schien sich sogar zu freuen.
Deutlich, etwas gedehnt sprechend (wie es bei Schädelverletzungen zu sein pflegt), teilte sie mit:
»Ich sterbe jetzt.« Sprach’s und schien sich ein wenig über ihre Worte zu wundern. »Ich spüre es. Aber ich habe keine Angst. Tut auch nicht weh.«
»Ich lauf los und hol Hilfe«, sagte Pelagia schluchzend.
»Nicht nötig, es ist zu Ende. Ich mag nicht wieder allein sein im Dunkeln.«
»Wer hat das
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