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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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klappernd, lief sie die Allee entlang zum Haus. Sie wollte den Morgen abwarten, sich irgendwo verstecken, und wenn Tanja oder eine andere Bedienstete heraussähe, sie leise rufen. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Sie konnte ja nicht mitten in der Nacht in solch unanständigem Aufzug, mit nassen roten Zotteln bei der Generalswitwe eindringen.
    Bei dem Badehäuschen blieb sie stehen. Sie rüttelte an der Tür, schade, abgeschlossen, drinnen wär’s ein bisschen wärmer gewesen. Im Freien ging die Kälte durch und durch, und das Hüpfen half nicht.
    Doch da entsann sich Pelagia des Gärtnerbüdchens. Das war bestimmt nicht abgeschlossen.
    Sie lief die Allee zurück. Das nasse Hemd klebte ekelhaft an den Beinen.
    Da war das Büdchen. Tatsächlich, die Tür war offen.
    Pelagia betrat die dunkle Hütte. Vorsichtig, um nicht auf etwas Spitzes zu treten, ging sie in eine Ecke und setzte sich hin. Wenigstens war es trocken, Gott sei Dank.
    Allmählich wurde es hell. Die Ritzen in den Bretterwänden wurden sichtbar, auch das Inventar: Harken, Spaten, Messer, Beile, Hacken.
    Hacken? Wie hatte Naina Telianowa gesagt? Eine lebendige Espe und eine Hacke?
    Was mochte das bedeuten?
    Da Pelagia nichts zu tun hatte, drehte und wendete sie diese Worte im Geiste. Auf dem Photo mit dem Titel »Ein regnerischer Morgen« waren also eine Hacke und eine Espe zu sehen. Eine lebendige Espe. Was gab es denn noch für Espen, tote etwa?
    Die sterbende Fürstin hatte also phantasiert? Nein, sie hatte auf Pelagias Frage geantwortet.
    Espen gab es im Park reichlich, eine lebendiger als die andere.
    Nein! Die Schwester fuhr hoch. Eine Espe war tatsächlich tot – neben der hatte der arme erschlagene Sakussai gelegen. Ob die Fürstin dieses Bäumchen gemeint hatte? Auf dem Photo war es wohl noch lebendig? Doch was war daran Besonderes, und was war mit der Hacke?
    Pelagia hielt es nicht mehr in dem Büdchen, die unterschiedlichsten Vermutungen rasten ihr durch den Kopf. Warum saß sie hier, wenn sie hingehen und nachsehen konnte?
    Sie lief zu der Stelle, wo die Espe stand. Hier im Park war ihr alles vertraut, und alsbald war sie bei dem denkwürdigen englischen Rasen, neben dem das verdorrte Bäumchen aus der Erde ragte.
    Was hatte es damit auf sich?
    Pelagia hockte sich hin, berührte die vertrockneten Blättchen, fuhr mit der Hand den glatten Stamm hinunter. Nanu, bei den Wurzeln war die Erde aufgewühlt? Ach ja, Sakussai hatte da gescharrt.
    Doch nein, das konnte nicht ein Welpe getan haben.
    Die Nonne bückte sich tiefer und betrachtete die Grube.
    Ihr fiel ein, dass der Gärtner Gerassim gesagt hatte, der unverständige Sakussai hätte von seinem Vater und Großvater gelernt, Erde zu fressen. Etwa hier?
    Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie, dass das Gras auf dieser Seite der Espe anders war als ringsum – niedriger und dünner.
    Was mochte die Hunde hier interessiert haben?
    Pelagia nahm ein Stöckchen und stocherte in der Erde, doch die gab nicht recht nach. Sie musste einen Spaten aus dem Büdchen holen.
    Gedacht, getan. Aber sie nahm keinen Spaten, sondern eine Hacke, damit ging es noch besser.
    Sie spuckte in die Hände, wie sie es bei den Arbeitern gesehen hatte, als die auf dem Klosterhof eine Wasserleitung verlegten, holte aus, schlug zu, scharrte weg. Noch einmal und noch einmal. Sie kam rasch voran. Beim zehnten Schlag zitterte sie nicht mehr, ihr war warm geworden. Der Nebel wölkte über dem Gras, stieg von den Knöcheln hoch zu den Knien.
    Das Hackenblatt drang in etwas Knirschendes, wie in einen Kohlkopf. Pelagia zog – an dem Werkzeug hing etwas Rundes, Dunkles, so groß wie ein Kinderkopf. Eine Trübung ihres Verstandes und ein plötzliches Dröhnen in den Ohren ließen sie nicht gleich begreifen, dass es genau das war – ein Kinderkopf: gelb-lila, mit zusammengeklebten hellen Haaren und leidvoll eingesunkenen Augäpfeln.
    Pelagia, mit zuckenden Lippen, schleuderte die Hacke mit dem grauenhaften Fund beiseite, doch so heftig, dass sie auf der nassen Erde ausrutschte und in die Grube stürzte, die sie selbst ausgehoben hatte. Aufheulend wollte sie wieder herausklettern und griff nach einer kalten, glitschigen Wurzel, doch die löste sich aus der Erde.
    Und da sah Pelagia, dass es keine Wurzel war, sondern eine menschliche Hand – behaart, mit blauen Fingernägeln und ohne Ringfinger.
    Der armen Nonne wurde schwarz vor Augen, denn es gibt eine Grenze für die Duldungsfähigkeit des Menschen. Pelagia brauchte Gott sei Dank

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