Akunin, Boris - Pelagia 01
dann hatte die liebe Seele Ruhe.
Nun, wenn es so war, hatte Gott der Herr wohl beschlossen, seine Magd Pelagia zu sich zu rufen. Eine Nonne soll sich vor dem Tod nicht fürchten. Wenn der Sensenmann urplötzlich um die Ecke gesprungen kommt und einem seinen heißen stinkenden Atem ins Gesicht bläst, dann ist Erschrecken verzeihlich. Wenn man aber Zeit hat, sich bereit zu machen und Mut zu fassen, ist die Furcht vor dem Tode dumm und sündhaft.
Entschlossen ließ sich die Schwester links vom Stamm ins Wasser gleiten und stieß sich mit den Füßen kräftig von ihm ab. Die Strömung war hier nicht mehr gar so wild, die Einengung war vorbei, und der Fluss hatte die Ebene gewonnen. Bei völliger Dunkelheit ins Ungewisse zu schwimmen war unheimlich, und Pelagia wusste schon bald nicht mehr, ob sie noch die Richtung hielt. Arme und Beine taten rhythmisch ihre Arbeit, aber das lange Hemd, das ihr an den Knien klebte, behinderte sie sehr. Ob sie es abwarf? Pelagia malte sich aus, wie der Fluss ihre Leiche an Land spülte: nackt, mit aufgelösten Haaren. Also nein, wenn schon ertrinken, dann im Hemd.
Und das Ertrinken war offenbar unvermeidlich. Die Hände gehorchten ihr kaum noch, und das Ufer war noch immer nicht in Sicht. Vergib mir, Herr, dachte Pelagia müde. Ich habe getan, was ich vermochte. Sie drehte sich auf den Rücken und überließ sich dem Willen der Strömung. Schade nur, dass der Himmel nicht zu sehen war – gern hätte sie ein letztes Mal einen Stern geschaut, doch nein.
Als sie mit Kopf und Schultern an etwas Unnachgiebiges stieß, begriff sie nicht sofort, dass es Sand war.
Das Ufer war nicht zu sehen, aber Pelagia konnte es mit den Händen berühren.
Das tat sie denn auch: ließ sich auf die Knie nieder und streichelte mit beiden Händen den kalten, durchweichten Sand. Nachdem sie für ihre wunderbare Rettung ein Dankgebet gesprochen hatte, wrang sie ihr Hemd aus, setzte sich hin und umgriff ihre Schultern. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war und wohin sie gehen musste. Es regnete noch eine Zeit lang und hörte dann auf. Pelagia wrang wieder ihr Hemd aus; um warm zu werden, hüpfte sie mal auf dem einen Fuß, mal auf dem anderen. Dann saß sie ein Weilchen, hüpfte, saß wieder, hüpfte, und ihr Hemd, über einen angeschwemmten Baumknorren gebreitet, schimmerte trübweiß.
Als sie wieder umhersprang und sich schallend gegen die Hüften klatschte, bemerkte sie auf einmal, dass die Dunkelheit ausdünnte. Da war der Wasserrand, auf dem Sand lag eine tote Möwe, und wenn vor ihr alles zu einer Masse verschwamm, lag das nicht an der Nacht, sondern daran, dass über dem schmalen Streifen Sand das Steilufer aufragte. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie auch die obere Kante und den grauen Himmel darüber.
Pelagia hockte sich erschrocken hin. Wenn, Gott behüte, ein schlafloser Mensch in der Morgenfrische spazieren ging und herunterblickte, würde er ein schönes Bild sehen: Da sprang eine barhäuptige Hexe splitternackt herum und schwenkte die Arme. Schrecklich!
Sie zog das nasskalte Hemd über und dachte zum ersten Mal über ihre Lage nach. Erstens hatte die Strömung sie vielleicht irgendwo angetrieben, wo es keine menschliche Behausung gab. Und zweitens, wenn es eine gab, war es auch nicht einfach. Schickte es sich etwa für eine Nonne, in solchem Aufzug vor Menschen zu erscheinen?
Sie ging das Ufer entlang und entdeckte einen kaum erkennbaren Pfad, der nach oben führte. Der Aufstieg war steil, und die Füße traten immer wieder auf spitze Steine, darum blickte Pelagia nur nach unten, und als sie dann doch einmal den Kopf hob, um zu sehen, ob es noch weit war, ächzte sie auf. Oberhalb der Kante schimmerte weiß ein wunderliches Gebilde. Die Umrisse kamen ihr bekannt vor. Sie stieg noch etwas höher und blickte nur noch nach oben.
Eine Laube. Weiße Säulchen, Gitterwerk, ein rundes Dach. Es war die wohl bekannte Laube im Park von Drosdowka, von der aus man einen so schönen Blick auf den Fluss hatte.
Pelagia war sich nicht im Klaren, ob es gut oder schlecht war, dass die Strömung sie ausgerechnet nach Drosdowka getragen hatte. Natürlich waren Bekannte eher hilfsbereit als Fremde, aber ihnen gegenüber war auch die Scham größer.
Die Bäume im Park waren nass und sahen trübsinnig aus. Von der Erde stieg weißlicher Dunst auf, durchscheinend noch, doch schon sich verdichtend. Pelagia fror erbärmlich. Bis zum Tagesanbruch war es noch eine Weile hin. Was tun?
Hüpfend, mit den Zähnen
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