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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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vor nichts mehr zu erschrecken, denn sie sackte in sich zusammen und rutschte in tiefer Ohnmacht in die Grube.

Kleine Geschenke
    Als Pelagia die Augen öffnete, sah sie über sich das Himmelsgewölbe. Es war dunkelblau, niedrig, von trüben unbeweglichen Sternen übersät, und stützte sich, wie in alten Büchern beschrieben, auf vier Säulen. Damit war bestätigt, dass Kopernikus Unrecht gehabt hatte, was die Nonne keineswegs verwunderte, sondern eher erfreute. Über die Liegende beugte sich, einen großen Teil des Himmels verdeckend, Bischof Mitrofani – riesengroß, graubärtig, mit schönem und traurigem Gesicht. Pelagia begriff, dass er in Wirklichkeit der Herr Zebaoth war, und sie freute sich noch mehr, wunderte sich aber zugleich über ihre eigene Blindheit: Wieso hatte sie diese so offenkundige Tatsache nicht schon früher begriffen? Ihr wurde auch klar, dass dies alles ein Traum war, aber ein schöner Traum, vielleicht sogar ein wesentlicher Traum.
    »Was klapperst du mit den Augen, skandalöse Person?«, fragte Herr Zebaoth, wie es sich für Gott gehörte, scheinbar streng, aber auch liebevoll. »Du hast das hochheilige Lager des Bischofs mit deinem Frauenkörper besudelt, was hier noch nie vorgekommen ist, und lächelst auch noch. Wie soll ich fortan darin schlafen? Ich werde ärgere Qualen fleischlicher Anfechtung leiden als der Heilige Antonius. Pelagia, ich werde dich dem geistlichen Gericht übergeben wegen unzüchtigen Benehmens, damit du’s weißt. Eine schöne Braut Christi: liegt schmutzig, nass und fast nackt in dieser scheußlichen Grube. Sei bitte so gut und erkläre mir, dem unverständigen Priester, wie du dort hinein geraten bist. Wie bist du darauf gekommen, dass die Köpfe der Ermordeten dort vergraben sind?« Mitrofani beugte sich noch tiefer herab und legte Pelagia besorgt die angenehm kühle Hand auf die Stirn. »Wenn dir das Reden schwer fällt, dann schweige lieber. Deine Stirn ist ganz schwitzig. Der Doktor sagt, das Fieber kommt von einer starken Erschütterung. Du warst über einen Tag bewusstlos. Man hat dich getragen und in einer Kutsche hergebracht, und du hast ausgesehen wie Dornröschen. Was ist passiert? Du schweigst? Na, dann schweig nur, schweige.«
    Erst jetzt begriff die Nonne das Rätsel der Säulen und des Himmelsgewölbes. Es war der Baldachin über dem altertümlichen Bett im Schlafgemach des Bischofs; auf dunkelblauen Samt waren brokatene Sterne gestickt.
    Pelagia fühlte sich sehr schwach, aber keineswegs krank, eher angenehm ermattet, wie nach langem Schwimmen.
    Ich bin ja auch geschwommen, erinnerte sie sich, und so lange.
    Sie bewegte die Lippen, erprobte ihre Stimme. Es kam ein heiseres »A-a-a« heraus.
    Der Bischof schreckte hoch. »Brauchst du etwas? Soll ich dir etwas bringen? Oder den Doktor rufen?«
    Er sprang auf, bereit, Hilfe zu holen.
    »Setzt Euch, Vater«, sagte Pelagia und betastete behutsam die schmerzenden Schultermuskeln. »Setzt euch und hört zu.«
    Und sie erzählte dem Bischof alle Begebenheiten, von dem »Untersuchungsexperiment« bis zu den schrecklichen Ausgrabungen. Bei der bloßen Erinnerung daran zitterte ihre Stimme, und Tränen traten ihr in die Augen.
    Mitrofani hörte zu, ohne sie zu unterbrechen, nur an den kritischsten Stellen murmelte er leise »Himmlischer Vater« oder »Jesus« und bekreuzigte sich.
    Als Pelagia ihre Erzählung beendet hatte, kniete der Bischof vor der in der Ecke hängenden Ikone des Erlösers nieder und sprach ein kurzes, aber gefühlvolles Dankgebet.
    Dann setzte er sich ans Bett und sagte, häufig blinzelnd:
    »Vergib mir, liebe Pelagia, um Christi willen, dass ich dich auf solchen Leidensweg geschickt habe. Ich selbst werde es mir herrschsüchtigem Unhold bis zur Todesstunde nicht verzeihen. Kein noch so gemeinnütziges Ziel eines Bischofs ist es wert, dass einer Christenseele, noch dazu schwachen Frauenschultern, eine solche Last aufgebürdet wird.«
    »Das mit den schwachen Frauenschultern will ich nicht gehört haben«, sagte Pelagia gekränkt. »Ich möchte mal sehen, welcher Mann bei solchem Sturm, noch dazu nachts, so lange im Fluss geschwommen wäre. Und mit dem gemeinnützigen Ziel sollte man auch nicht so achtlos umgehen. Wo steht in der Heiligen Schrift geschrieben, dass man dem bösen Geist kampflos weichen soll? Etwas Schlimmeres gibt es wohl nicht. Erzählt mir lieber, was hier inzwischen geschehen ist, während ich bewusstlos lag. Ihr spracht von den › Köpfen ‹ ? Sind es die

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