Al Wheeler und das Komplott
mir ein
Zimmer im Heim der christlichen jungen Mädchen verschaffen könnten?« fragte sie
ruhig.
»Soll das heißen, daß Sie nicht
an Vergeben und Vergessen, Versöhnungsküsse und den ganzen Kram glauben?«
fragte ich.
»Ich glaube an gar nichts mehr,
Sonny, nachdem Tom mich geschlagen hat«, sagte sie grimmig.
Darauf gab es keine Antwort.
Ich ging zum Healey, navigierte um den Buick herum und fuhr im Rückwärtsgang
die Auffahrt auf die Straße hinaus. Auf der Rückfahrt in die Stadt fiel mir
ein, daß ich noch nichts zu Mittag gegessen hatte, obwohl es bereits vier Uhr
nachmittags war.
Vor mir tauchte eine Tafel mit
der Aufschrift Chicken Inn auf; so hielt ich denn, ging hinein und
bestellte ein Steak. Steak ist gesund — für jedermann, oder war es zumindest
noch, als ich kürzlich darüber in einer Zeitschrift las. Das einzig Ärgerliche
daran war nur, daß der Artikel inzwischen vier Monate alt und vielleicht schon
überholt war, und es ist ganz leicht möglich, daß es diesen Monat heißt, Steaks
seien ungesund, ja sogar lebensgefährlich. Es fällt mir schwer, bei diesen
Veränderungen auf dem laufenden zu bleiben — es fehlt einem oftmals die Zeit
dazu. In einem Monat sind es die Proteine, die das Blut gesund erhalten, und im
nächsten schon sind es die gefährlichen Proteine, die die Arterien verstopfen
und — zack! — ist man tot.
Wenige Minuten nach fünf kam
ich ins Büro zurück. Annabelle Jackson brachte gerade ihre Schreibmaschine zu
Bett, als ich eintrat, und sie blickte mich mit von Sternstaub verhangenen
Augen an. Ihr Busen wogte unter der Bluse, und Annabelles Busen wurde mit für
die Südstaaten typischer Großzügigkeit geschaffen. Ich wußte nicht, welcher
Glaube ihr diesen Sternenblick verliehen hatte, aber, Junge, es war jener
Glaube, der Berge versetzt.
»Ein toller Mann«, sagte sie
mit heiserer Stimme, während sie ihren verträumten Blick noch immer auf mich
gerichtet hatte. »Wie aus dem Märchen.«
»He!« sagte ich vorsichtig.
»Soll das heißen, daß Sie jetzt endlich mein wahres Ich erkannt haben?«
Der selige Ausdruck machte auf
der Stelle bitterer Entzauberung Platz.
»Sie?« sagte sie verächtlich.
»Ein ramponierter Romeo, den man noch nicht einmal fürs letzt jährige Modell in
Zahlung geben kann! Ich rede von dem Mann, der drinnen ist.« Mit einer
dramatischen Geste zeigte sie auf die Tür zum Büro des Sheriffs. »Diesen
hübschen, intelligenten, adretten Gentleman, der zur Zeit da drinnen ist.«
»Den Sheriff?« blickte ich sie
entgeistert an.
»Al Wheeler«, sagte sie
aufseufzend, »Sie sind ein Idiot. Ich rede von dem Mann, der bei ihm ist.« Ihre
Stimme bekam einen ehrfürchtigen Klang. »Paul Winterman!«
»Wie lange ist er schon da?«
fragte ich niedergeschlagen.
»Dreiundsiebzig Minuten«,
erwiderte sie prompt. »Er kam durch die Tür und sah mich an«, seufzte sie.
»Dann lächelte er. Al, er lächelte mich an!«
»Wirklich?«
»In seinen Augenwinkeln bilden
sich kleine Fältchen«, fuhr sie mit atemloser Stimme fort, »und er hat
wunderschöne Zähne und...«
»Ich werde meine Sonnenbrille
aufsetzen und ihn beobachten«, sagte ich. »Von dieser Technik kann man noch
lernen!«
Ich klopfte an die Tür zu Lavers ’ Büro und trat ein. Die Luft war von Zigarrenrauch
geschwängert — das, was einer von der County gestellten Klimaanlage am nächsten
kam, waren die Ritzen im Bretterfußboden.
»Ah!« sagte Lavers, und seine
Stimme triefte geradezu von gespielter Freude. »Das ist Wheeler! Darf ich Ihnen
Mr. Winterman vorstellen, Lieutnant?« Dem Klang seiner Stimme nach war ich der
Gong, der ihn in letzter Sekunde vor dem Auszählen bewahrt hatte. Ich wünschte,
ich hätte seine Erwartung teilen können.
»Lieutnant.« Winterman hatte
einen festen Händedruck. »Ich habe schon sehr viel über Sie gehört.«
»Der Sheriff übertreibt
mächtig«, sagte ich bescheiden. »Von Ihnen habe ich auch schon gehört. Ein
toller Mann — wie aus dem Märchen —, nicht mehr und nicht weniger.«
»Wheeler!« Lavers drohte fast
zu ersticken. »Haben Sie denn den Verstand verloren?«
»Ich nicht, aber Ihre
Sekretärin«, erklärte ich.
Winterman lächelte bescheiden
und rückte abwesend seine Krawatte zurecht. Ich mußte zugeben, daß ich
Annabelle verstehen konnte — er war ein Mann, der genauso aussah wie die
Person, die er verkörperte. Ich bin ein Polizeibeamter, aber ich sehe dagegen
wie ein heruntergekommener Schmierenschauspieler aus, der hinter einer
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