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Al Wheeler und die gespenstige Lady

Al Wheeler und die gespenstige Lady

Titel: Al Wheeler und die gespenstige Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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andere Stimme — zart, kristallklar und von vollendeter Reinheit.
    »Wer wagt es, dem Fluch der
Grauen Dame in dieser Nacht der Nächte zu trotzen ?« fragte sie kalt.
    »Wer sind Sie ?« flüsterte Slocombe . »Woher kommen Sie ?«
    »Ich liege am Fuß der Eiche, wo
keine Blumen blühen«, antwortete die klare Stimme. »Ich fliege mit dem Wind und
schmiege mich an den Fuß des Berges. Ich vermodere mit dem Leichentuch und
tanze im Mondschein. Ich stoße zu mit der Schlange und jage mit der Meute !«
    »Sie sind Delia Harveys Geist ?«
    »Wenn du es so willst .« Ihre Stimme klang verächtlich. »Was bedeutet es? Ich habe
dieses Zimmer verflucht, und über ein Jahrhundert wurde dieser Fluch geachtet.
Nun hast du mir getrotzt, und die Vergeltung wird dich treffen .«
    »Warten Sie !« Slocombes Stimme klang halb wahnsinnig. »Sie müssen
auf mich hören, Delia. Sie müssen verstehen, warum ich es getan habe !«
    »Die Gründe sind nicht
wichtig«, sagte sie kalt. »Es ist geschehen, und das bedeutet das Ende — für
dich .«
    »Ich liebe Martha Harvey !« Er schrie beinahe. »Ihr Vater möchte, daß sie einen
anderen Mann heiratet — einen viel reicheren Mann. Martha ist Delia — . Sie — alles wiederholt sich, sagt er, und es würde
Unglück bringen, wenn sie mich heiratet .«
    »Martha soll ich, Delia, sein?
Was bewegt ihren Vater zu dieser grundlegenden Erkenntnis ?«
    »Er blickt auf Ihr Porträt an
der Wand, und dann blickt er auf seine Tochter«, sagte Slocombe langsam. »Und das Gesicht ist dasselbe. Ihre Mutter starb, als Martha zur Welt
kam, genau wie Ihre Mutter gestorben ist, als sie Sie zur Welt brachte. Ihr
Vater wollte Sie zwingen, einen Mann zu heiraten, den Sie nicht liebten, und
Sie von dem Manne trennen, den Sie wirklich liebten. Marthas Vater versucht
genau dasselbe zu tun. Er hat Angst um seine Tochter. Er fürchtet, daß ihr
Leben ähnlich verlaufen wird wie Ihres und daß die Familie Harvey eine weitere
Hexe hervorbringen wird .«
    »Deshalb hast du meinen Fluch mißachtet ?« Ihre Stimme klang
wieder kalt. »Du hast Tod und Verderben auf dich genommen, um mir diese
rührselige Geschichte einer jungen Liebe zu erzählen ?«
    »Nicht nur deshalb«, sagte er
eindringlich, »sondern um Sie um Hilfe zu bitten, Delia. Martha sieht aus wie
Sie. Irgendwie muß sie ein Teil von Ihnen sein. Wenn Sie Ihren Fluch
zurücknehmen, geben Sie ihr eine Chance, das Glück zu erlangen, das Ihnen verwehrt war. Verstehen Sie denn nicht ?«
    Es klang wie eine trillernde
Flöte, als sie leise lachte. »Glaubst du, die Spanne eines Lebens spielt,
verglichen mit der Ewigkeit, irgendeine Rolle ?« sagte
sie verächtlich. »Glaubst du, daß das, was nicht mehr als eine Zuckung ist,
nicht mehr als eine Träne in einem Ozean, für mich von Wichtigkeit ist — ich,
die ich dazu verdammt bin, zu Füßen der Eiche zu liegen, eingehüllt in ewiges Bewußtsein ?«
    »Ich bitte Sie, Delia«, sagte
er mit erstickter Stimme, »tun Sie uns diesen einzigen kleinen Gefallen und
seien Sie dafür meiner und Marthas ewiger Dankbarkeit sicher !«
    Das Tonband lief leise und, wie
mir schien, lange Zeit summend weiter, bevor sie wieder sprach, und der Wechsel
in ihrer Stimme durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Die kristallklare
weiche Stimme war verschwunden, und an ihre Stelle trat ein rauhes , kehliges Flüstern, das vor kaltem, abstoßendem Haß
vibrierte.
    »Oh, ich bin deiner wimmernden
Bettelei müde«, flüsterte Sie. »Die Graue Dame durchwandert die Nacht nur, um
an ihre rechtmäßige Beute zu gelangen .« Sie kicherte
heiser. »Trotze dem Teufel, wenn du kannst, Sterblicher! Die Würmer warten !«
    Kurze Stille prallte uns
förmlich entgegen, dann erschallte ein heiserer Schrei des Entsetzens — eines
absoluten und vollkommenen Entsetzens —, der plötzlich kurz abbrach. Einen
Augenblick später erfolgte das dumpfe Geräusch eines Falls. Der Apparat summte
gleichmäßig weiter, und als das Band zu Ende war, stellte Ed das Gerät ab.
    Er starrte mich ein paar
Sekunden lang schweigend an und grinste dann unsicher. »Haben Sie gehört, was
ich gehört habe ?« fragte er mit belegter Stimme.
    »Ja«, gab ich zu. »Und ich
glaube es ebensowenig .«
    »Das war — das war...« Er
machte eine hilflose Handbewegung. »Was, um alles auf der Welt, soll man zu so
etwas sagen ?«
    »Eine gute Frage«, brummte ich,
»und ich bin beinahe davon überzeugt, daß es irgendwo eine richtige Antwort
darauf gibt. Im Augenblick

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