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Al Wheeler und die gespenstige Lady

Al Wheeler und die gespenstige Lady

Titel: Al Wheeler und die gespenstige Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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rief sie hinter mir her.
»Er verliert an Geschmack bei zuviel Eis .«
    »Onkel
Ben«, sagte sie ein paar Augenblicke später, das volle Glas fest mit beiden
Händen umklammernd. »Diese Trantüte, die sein eigenes Gebüsch mit sich
herumschleppt, um sich darin verstecken zu können, wenn es brenzlig wird. Der
gute alte Onkel Ben — der heimgekehrte Erforscher fremder Länder. Er ist ein
Forscher, das stimmt. Das habe ich gemerkt, als sie mich beim Abendessen zum erstenmal neben ihn setzten .«
    »Wirklich
— ein Forscher?«
    »Na
ja, er ist jedenfalls fünfzehn Jahre lang umhergereist«, sagte sie und zuckte
die Schultern. »Ich erinnere mich, daß Martha, als wir noch Kinder waren, die
beste Briefmarkensammlung im ganzen Umkreis hatte. Alles stammte von Onkel Bens
Briefen, die aus den seltsamsten Teilen der Welt kamen. Er hatte eine Frau, die
bei irgendeinem Aufruhr in Madagaskar ums Leben kam — behauptet er. Ich glaube
eher, sie hatten mal eines Abends nichts zu essen, und er hat sie aufgefressen.
Danach kehrte er nach Hause zurück und ließ sich im Schoß der Familie seines
Bruders nieder — und dort hält er sich seit zwei Jahren auf .«
    Ich
merkte, daß ihre Stimme zunehmend belegter geworden war, und ihr gerötetes
Gesicht sah schläfrig aus. Ich schwang meine Füße auf den Boden und schob mich
zögernd aus dem Liegestuhl.
    »Ich
muß jetzt gehen. Es war hübsch bei Ihnen, Loraine. Ich habe neue Erfahrungen
gesammelt, sozusagen eine abgeschlossene Ausbildung in einer Materie bekommen,
von deren Existenz ich nie etwas gewußt habe. Wir sehen uns hoffentlich bald
wieder .«
    Sie
unternahm die Anstrengung, den Kopf zu heben und versuchte mühsam, ihre Augen
auf mein Gesicht zu richten. »Weshalb haben Sie’s denn so eilig, Al ?« Ihre Brauen zogen sich bekümmert zusammen. »Sind Sie
verärgert, oder was ist los ?«
    »Ich
habe jede Minute meines Besuchs genossen, Loraine«, erklärte ich. »Aber die
Stimme der Pflicht ruft mich mit eiserner Strenge, wie man so schön sagt .«
    »Gehen
Sie jetzt noch nicht«, sagte sie eigensinnig. »Es tut mir nicht gut, hier
allein gelassen zu werden, wo ich nichts zu tun habe .« Sie schüttelte allzu heftig den Kopf, und der gute Bourbon spritzte aus ihrem
Glas auf die nackten Schenkel. »Setzen Sie sich wieder, Al, und trinken Sie
noch was. Ja?«
    »Tut
mir leid, Süße, aber ich muß wirklich gehen .«
    Ihre
Lippen wölbten sich vor wie die eines kleinen Kindes. »Sie sind mies«, sagte
sie mit tränenerstickter Stimme. »Wir könnten so viel Spaß miteinander haben,
wenn Sie noch eine Weile dablieben .« Für eine Sekunde
kam ein berechnender Schimmer in ihre Augen, und sie zog ihre Knie an, so daß
der Bademantel noch weiter auseinanderfiel.
    »Bleiben
Sie noch ein bißchen. Ja?« Ihre Stimme klang heiser.
    Ich
war bei den drei zum Korridor führenden Stufen angelangt, als ich das Geräusch
zersplitternden Glases hörte. Ich kam zurück. Ihr Arm schwang schlaff ein paar
Zentimeter über dem zerbrochenen Glas, das in einer kleinen Pfütze Whisky
schwamm, und Loraine selber schnarchte laut, während ihr Kopf auf die eine
Schulter gefallen war.
    Bis
ich sie endlich, den einen Arm unter ihren Knien und den anderen unter ihren
Schultern, hochgehoben hatte, keuchte ich. Der schlaffe Körper mit all seinen
einladenden Kurven ergab insgesamt ein überraschendes Gewicht. Ich trug sie ins
Haus, ließ sie sanft auf eine Couch im Wohnzimmer fallen und brachte sittsam
ihren Bademantel in Ordnung, bevor ich ging.
    Als
ich mich in den Healey zwängte, war die Sonne bereits am Untergehen, und in
Richtung des Harveyschen Hauses schwebte eine
blutrote, drohend aussehende Wolke. Es war in den letzten hundert Jahren eine
Menge unternommen worden, um das Tal hinter dem Bald Mountain zu kultivieren,
aber trotz allem wirkte es immer noch ziemlich wild.
    Ich
fragte mich, was für einen Eindruck es wohl auf Nigel Harvey gemacht hatte, als
er seine Tochter an diesen seltsamen Ort am Ende der Welt gebracht hatte.
Vielleicht hatte es ihm zugesagt, und er hatte es als genau das Richtige für
eine angebliche Hexe und Mörderin empfunden, um sie vor Schwierigkeiten und den
Blicken der Umwelt zu schützen.
    Eines
mußte ich Delia zugestehen: Sie war in diesen letzten hundert Jahren den
Blicken der Umwelt völlig entzogen gewesen, wie sie da zu Füßen der Eiche
begraben lag — aber aus dem Gedächtnis der Harveys war sie niemals
verschwunden.

SECHSTES KAPITEL
     
    D ie Sonne war hinter dem

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