Alanna - Das Lied der Loewin
verwenden. Wenn es einem gelingt, sie irgendwie auf die richtige Bahn zu lenken ...«
»Und was ist, wenn die Magie dieses Schwertes schon seit Urzeiten zum Bösen verwendet wird?«, fragte er sie. »Was ist, wenn du nicht stark genug bist, um sie zu unterwerfen?«
Alanna reckte das Kinn vor. Ihre violetten Augen funkelten gefährlich. »Ich habe mir geschworen, dass ich diese Waffe meistern will, also werde ich es tun«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Mich unterwirft kein Schwert – nicht einmal dieses hier.« Auf ihren Pfiff hin kam Moonlight mit Halef Seifs Hengst im Gefolge angetrottet. Sie musterte den Häuptling immer noch wütend, als sie sich auf ihr Pferd schwang. »Daran gibt es nichts zu rütteln!«
Der Bazhir verbarg ein Lächeln, als er seinen Hengst bestieg. »Wie du meinst, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet.«
Alanna hatte erwartet, ihre weiblichen Lehrlinge könnten sich weigern mit am Lagerfeuer des Stammes zu sitzen, doch hatte sie den Respekt unterschätzt, den ihr die beiden entgegenbrachten. Als sie begriffen, dass ihnen Alanna erlauben würde, weiterhin ihre Gesichtsschleier zu tragen,
stimmten sie zu. Kara sah verängstigt aus, Kourrem schob störrisch ihr Kinn vor, aber beide nahmen am nächsten Abend zwischen Ishak und Alanna Platz. Als es still um sie wurde, senkten sie den Kopf. Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Dann, als ein Mann nach dem anderen schulterzuckend seine Zustimmung kundtat, kamen langsam die Gespräche wieder in Gang. Es waren die Frauen, die sich an diesem Abend – und am nächsten und übernächsten – zurückhielten und die Mädchen und Alanna so schroff bedienten, dass es fast schon unverschämt war, hätte Halef Seif nicht auch am Feuer gesessen. Alanna seufzte. Wie konnte sie die Frauen des Stammes dazu bringen, sie selbst und ihre Lehrlinge zu akzeptieren? Man konnte sie nicht dazu zwingen, dass ihnen die Veränderungen, die Alanna dem Stamm des Blutigen Falken gebracht hatte, gefielen.
Der Unterricht wurde fortgesetzt. Gemeinsam studierten sie die vor dem Altar des Stammes liegenden Schriftrollen, in denen die zeremonielle Magie abgehandelt wurde. Von allen dreien stellte sich Ishak mit diesen Zaubersprüchen, die vom Reinigen der Lampen bis zur Weihung eines neuen Tempels alles erfassten, am geschicktesten an. Mit Besorgnis sah Alanna, wie ihr Schüler immer eingebildeter wurde. Für sie, die mit den kleinsten Launen der Pagen und Knappen, die sie einst unterrichtet hatte, vertraut war, gab es keinen Zweifel, dass Ishak ein gefährliches Übermaß an Selbstbewusstsein besaß.
»Kannst du mich nicht schneller vorangehen lassen?«, fragte er Alanna eines Abends, als sie sich mit ihren Schülern gerade im Gemeinschaftsraum ihres Zeltes ausruhte. Kourrem fuhrwerkte mit einem Webstuhl herum, den sie aufgestellt hatte, Kara half mit die Kettfäden aufzuspannen. Aber
Alanna spürte, dass beide Mädchen die Ohren spitzten. »Ich habe schon einen Großteil unserer zeremoniellen Magie gelernt. Kannst du mir nicht etwas Interessantes beibringen?«
Alanna streichelte Trusty, der sich auf ihrem Schoß rekelte und ebenso gespannt lauschte wie die Mädchen. »Was genau schwebt dir denn vor?«
»Ich würde gern Zaubersprüche lernen, die der Weissagung dienen«, antwortete er mit leuchtenden Augen. »Ich würde gern in die Zukunft sehen. Oder du könntest mir beibringen, meinen Körper zu verlassen?«
»Nein, Ishak.« Sie sagte es in liebevollem Ton, denn sie wusste, dass sie ihn enttäuschte. »Du bist nicht bereit für das, worum du mich da bittest. Tut mir leid.«
»Ich glaube aber, dass ich bereit bin!«, gab er zurück. Man hörte ihm an, dass er wütend war. Er biss sich auf die Lippe, dann fuhr er ruhiger fort: »Lässt du mich wenigstens dein Schwert in die Hand nehmen? Ich könnte mit seiner Zauberkraft umgehen ...«
Alanna schüttelte den Kopf. »Außer mir berührt es keiner.«
»Ich will etwas Aufregendes tun!«, rief er. »Dein Schwert lässt du mich nicht anfassen, fortgeschrittene Magie lehrst du mich nicht ...«
»Die Zaubersprüche, von denen du da sprichst, sind kraftvoll und nicht ungefährlich. Dir fehlt die Disziplin, langsam vorzugehen. Ishak, hör zu!«, fuhr sie fort, als er ihr den Rücken zudrehte. »Weißt du nicht, was passiert, wenn du dich an Magie versuchst, für die du nicht bereit bist? Wenn du Glück hast, funktioniert der Zauberspruch nicht. Wenn du Pech hast, verlierst du die Kontrolle
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