Alanna - Das Lied der Loewin
spürte Alanna, wie eine prickelnde Energie in ihren Körper floss, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten. Sie riss die Hand weg und schüttelte das Prickeln ab.
»Ich war nur ein bisschen müde«, erklärte sie dem Mädchen, das aussah, als wolle es gleich weinen. »So viel hättest du mir gar nicht zu geben brauchen!«
Sie sah die drei an und stemmte die Hände in die Hüften. »Wir müssen uns nun überlegen, was ihr lernen sollt«, sagte sie. »Ein bisschen Ahnung habt ihr alle schon, sonst könntet ihr eure Zauberkraft nicht so gut unter Kontrolle halten.«
»Woher weißt du das?«, fragte Kourrem.
»Weil uns Ishak alle vier hätte verbrennen können, wenn er seine Kraft nicht kontrolliert hätte«, entgegnete Alanna. »Weil das Dorf schon von Stürmen oder Regen zerstört wäre, wenn du, Kara, deine Macht nicht gezügelt hättest. Und mit dem, was sie eben tat, hätte mich Kourrem in die Luft jagen können.«
»Wieso gehst du dann ein derartiges Risiko ein und unterrichtest uns?«, wollte Kourrem wissen. »Du wusstest doch gar nicht, dass ich dir nichts zuleide tun würde. Oder?«
Alanna grinste. »Ich mag ja vielleicht nicht in der Lage sein das Wetter zu beeinflussen oder in die Zukunft zu sehen«, sagte sie. »Aber ich weiß, wie ich mich schützen kann und jeden von euch auch, wenn es nötig wird.«
Sie kratzte sich am Kopf. »Ich glaube, wir sollten die Konzentrationsübung, die ich euch beibrachte, trainieren. Dann
holt ihr die Zelte, um die ich bat, und baut sie neben meinem auf.«
»Wieso sollen wir Zelte aufbauen?«, fragte Kara, als sie sich gehorsam auf dem Boden niederließen.
Alanna setzte sich im Schneidersitz daneben. »Als meine Lehrlinge müsst ihr richtig mit mir zusammenleben«, antwortete sie. »Aber da ihr zu dritt seid, bat ich den Zeltmacher, mir ein größeres Zelt für euch Mädchen und ein kleineres für Ishak zu geben. Oh, hört auf!«, rief sie, als sich alle drei auf sie stürzten und sie stürmisch umarmten.
Nach dem Abendessen gingen Alannas Lehrlinge ihre neuen Heime verschönern. Halef Seif kam Alanna abholen. »Die Nacht ist kühl«, sagte er. »Willst du ausreiten mit mir?«
Sie ließ sich nicht zweimal bitten. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie ihre Pferde gesattelt und den Wachposten erklärt hatten, welche Richtung sie einschlagen wollten. Als sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, machte Alanna vor Erleichterung einen tiefen Atemzug. Sie konnte Wüstenpflanzen, Staub und Pferde riechen – ein trockener, beruhigender Geruch, der ihr mehr als alles andere zeigte, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte.
»Ich will, dass sie mit mir am Lagerfeuer sitzen«, sagte sie übergangslos. Sie sprach leise, für den Fall, dass irgendwer, der es auf sie abgesehen hatte – sei es nun Mensch oder Tier –, in der Nähe war. »Jetzt, wo sie meine Lehrlinge sind, haben sie ein Recht darauf. Findest du nicht?«
»Zwei davon sind Mädchen.« Es war zu dunkel, um in seinem Gesicht zu lesen, und seine Stimme war ausdruckslos.
»Ich bin auch ein Mädchen.«
»Das habe ich bemerkt.«
Alanna hegte den Verdacht, dass er sie necken wollte. »Und wenn sie dreiköpfige Kröten sind!«, flüsterte sie in scharfem Ton. »Alle drei werden Schamanen sein, und der Stamm muss lernen ...«
Der Bazhir zischte, um sie zum Schweigen zu bringen. Trusty saß aufrecht in seinem Korb an Moonlights Sattel, hatte das Fell gesträubt und zuckte wild mit dem Schwanz. Alanna stellte ihre Ohren auf die Nachtgeräusche ein. Jetzt hörte sie es auch – Steine fielen auf Steine, während sich Männer durch die kleine Schlucht unter ihnen schlichen. Lautlos stiegen sie beide von ihren Pferden; mit einer Berührung bedeutete Alanna Trusty, in seinem Korb zu bleiben. Sie folgte Halef Seif zum Rand der Schlucht, wo sie sich platt auf den Boden legten und hinuntersahen.
Alannas Augen hatten sich inzwischen an die dunkle, mondlose Nacht gewöhnt, und nun sah sie die schattenhaften Gestalten von fünf Männern aus den Hügeln, die sich da unten durch die Schlucht stahlen. Einer stolperte über einen Stein und fluchte leise, woraufhin ihm seine Begleiter befahlen sich still zu verhalten. Alanna grinste höhnisch. Selbst als sie noch Page gewesen war, hätte man ihr für einen derartigen Fehler monatelang Strafdienst auferlegt.
»Plünderer, die unsere Herden suchen.« Halefs Atem bewegte die Haare in der Nähe ihres Ohrs; schon ein paar Zoll weiter hätte man ihn nicht mehr gehört. »Ich
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