Alanna - Das Lied der Loewin
dadurch nicht abhalten zu lassen. Wenn es stimmte, dass es bei Magie vor allem auf den Willen ankam, dann musste sie nur der Erde sagen, was sie brauchte. Genau das tat sie nun. Der Boden am Kopfende des Grabes bebte, während sie mit ihrem Bewusstsein daran zerrte. Als sie ihre fest zusammengepressten Augen wieder öffnete, stand eine Säule aus Granit da, um das Grab zu markieren. In tief eingegrabenen Lettern war darauf geschrieben: »Hier liegt die Zauberin von Alois, die ihre Mörder liebte.«
Nun übernahm Coram das Kommando und brachte sie so weit wie möglich vom Dorf fort. Sie war halb ohnmächtig, als er einen Lagerplatz auswählte. Erschöpft sank sie zu Boden und erwachte kaum, als Coram sie in ihre Bettrolle wickelte. Am nächsten Morgen gelang es ihm nicht, sie aufzuwecken. Da Trusty nicht beunruhigt schien, richtete er sich auf einen Ruhetag ein, behielt seine Herrin und Ritterin im Auge und schnitzte ein wenig.
Gerade ging die Sonne unter, als Alanna aus einem Traum erwachte:
Der Thronsaal war voll mit Leuten, König und Königin saßen auf ihren Thronen, neben dem König stand Herzog Gareth, neben der Königin Jonathan. Obwohl sie die Szene klar vor sich sah, hörte sie aus den Münden der Anwesenden keinen Ton kommen. Ihre Freunde sahen mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen zu, wie Thom dem Königspaar einen Mann vorstellte. Dieser drehte sich um und blickte Alanna in die Augen: Es war Roger von Conté. Klar und deutlich hörte sie ihn sagen: »Mich bringt man nicht so leicht um, was, Löwin? Das hast du deinem Bruder zu verdanke. Und vergiss nicht, mir mein Schwert wiederzugeben!«
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Ihre Kleider waren feucht vor Schweiß.
»Hast du mal wieder Alpträume?«, erkundigte sich Coram, der in einem Fleischeintopf rührte. Es war fast dunkel. »Träume sind nicht real, mein Mädchen. Hier, iss was!«
Während sie aßen, erzählte sie ihm ihren Traum. Der Anblick ihres Lagerfeuers und von Trusty, der mit Holzspänen spielte, beruhigte sie schließlich.
»Manchmal frage ich mich, ob ich nicht will, dass er zurückkommt«, seufzte sie und stellte ihre Schale beiseite. »Unsinnig, nicht?«
Coram blies versuchsweise einen Ton auf der Flöte, die er geschnitzt hatte. »Na ja, es gab ungeklärte Dinge zwischen euch beiden«, kommentierte er. »Und denk mal nach! Nicht jedem von uns ist es gegeben, einen wirklich mächtigen Feind zu haben. Deiner war der Herzog. Problematisch ist, dass einem das Leben ein bisschen leer vorkommen mag, nachdem man so ’nen Feind bezwungen hat. Du hast so viel Zeit damit verbracht, über den Kerl nachzudenken, und jetzt ist er plötzlich nicht mehr da und er kann dir keine Sorgen mehr machen.«
»Du glaubst also nicht, dass es – nun ja, dass es ein prophetischer Traum war?«
»Hast du denn schon mal welche gehabt?«
»Nein. Visionen manchmal, aber keine Träume.«
»Kommt mir unwahrscheinlich vor, dass du so spät noch damit anfängst. Deine Träume sind Träume, weiter nichts.« Mit Unbehagen sah er zu, wie sie das Kristallschwert und Blitz, ihre eigene, aus zwei Teilen bestehende Klinge, vor sich legte. »Was hast du denn jetzt schon wieder vor?«
»Sie hat mir gesagt, wie ich Blitz reparieren kann. Und das werde ich tun.«
Trusty kam herbei und setzte sich neben sie. Coram wich zurück. Einen Moment lang starrte Alanna grollend auf die beiden langen Narben an ihrem rechten Unterarm, dann zog sie zähneknirschend daneben einen dritten Schnitt mit ihrem Dolch und ließ ihr Blut auf die beiden Schwerter tropfen. Ein rauer Wind kam auf; das Lagerfeuer brannte purpurfarben.
»Eins«, flüsterte Alanna, schloss die Augen und suchte mühsam nach den besten Worten. »Kristallen und ganz, unzerbrechlich, stark. Eins – Kristall im Heft, glatter Stahl, in zwei Teile zerbrochen.« Staub peitschte ihr ins Gesicht. »Zwei ...« Sie legte die drei Stücke näher zusammen. »Getrennt, doch zusammen. Sein. Werden.« Energie strömte durch ihren Körper. »Eins!«, schrie sie über den tosenden Wind hinweg. »Eine Klinge, unzerbrechlich und ganz!«
Ein unerträglicher, starker, letzter Energieblitz schoss durch sie hindurch. Sie wurde ohnmächtig.
»So was Idiotisches hab ich noch nie erlebt.« Corams vertrautes Schimpfen drang durch die Dunkelheit, die sie umgab. »Man hätt ja annehmen können, dass du wartest, bis du dich von dem gestrigen Feuerwerk erholt hast. Aber nein.« Alanna schwamm aus dem Dunkel heraus und auf
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