Alanna - Das Lied der Loewin
ein ledernes Gewand, dem man ansah, dass es schon viele Reisen hinter sich hatte, und darüber einen weißen Burnus, wie er bei den Bazhir aus der Wüste Tortalls üblich war. Da der Ritter die Kapuze des Burnus zurückgeworfen hatte, konnte jeder sein kupferrotes Haar sehen, das er so lang geschnitten trug, dass es auf seine Schultern fiel. Seine Augen waren von einem seltsamen Violett, das die Blicke
auf sich zog; seine Miene war entschlossen. Vor ihm, in einem am Sattel befestigten Korb, ritt ein schwarzer Kater mit.
Der bewaffnete Begleiter war wie der Ritter gekleidet; die Brosche, die seinen Burnus zusammenhielt, war das Gegenstück zum Schild seines Herrn. Ihn wagte keiner zu belächeln – einen starken, dunkelhaarigen, bürgerlichen Mann mit Augen, die zeigten, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Er war es, der sich nach dem Weg zur Herberge Zum Wandernden Barden erkundigte, während der Ritter neugierig in den Straßen um sich blickte. Mühelos bahnten sie sich einen Weg durch die Menge und ritten auf die Herberge zu, nach der sie gefragt hatten.
Der Kater drehte den Kopf und sah zu dem Ritter auf. Sie halten dich für einen Jungen . Für die meisten klang seine Stimme wie ein Miauen, doch wenn er es wünschte, war sie so klar und deutlich zu verstehen wie die eines Menschen. »Gut so«, entgegnete der Ritter. »Umso weniger Aufsehen errege ich.«
Hast du deshalb die Umhüllung nicht von deinem Schild genommen?
»Sei doch vernünftig, Trusty«, lautete die schroffe Antwort. »Meinen Schild lasse ich bedeckt, weil ich vermeiden will, dass er staubig wird. Es dauert ewig, ihn zu putzen. Wer soll denn hier, so weit im Süden, von mir schon gehört haben?«
Der bewaffnete Begleiter, der inzwischen aufgeschlossen hatte, lächelte breit. »Du würdest dich wundern. Neuigkeiten haben’s so an sich, überall unter die Leute gebracht zu werden.«
Der Gastraum des Wandernden Barden war verlassen, bis auf den Wirt, einen Mann namens Windfeld, der sich nach dem Ansturm zur Mittagszeit ausruhte. Gerade hatte er angefangen selbst zu essen, als ein Stallbursche hereingestürzt kam.
»Beeilt Euch, Herr«, schnaufte der Junge aufgeregt. »Ein Ritter ist draußen im Hof – ein Ritter aus Tortall!«
»Na und?«, entgegnete Windfeld. »Wir hatten doch schon öfter Ritter hier im Barden.«
»So einen noch nie«, verkündete der Junge. »Der da ist nämlich ein Mädchen!«
»Mach keine Witze, Bürschchen«, begann Windfeld. Dann fiel ihm etwas ein. »Klar doch. Sir Myles hat mir von dem Mädchen geschrieben, das er vor einem Jahr an Kindes statt angenommen hat. Er schrieb, sie hätte sich jahrelang als Junge ausgegeben, als Page und Knappe, bis sie zum Ritter geschlagen wurde. Bloß kam der Brief, als uns fast die Ställe abgebrannt wären, deshalb hab ich ihn nicht weiter beachtet – was trägt sie auf dem Schild?«
»Der steckt in ’ner Hülle«, war die Antwort. »Aber ihr Lehensmann trägt ’ne schildförmige Brosche und die ist rot mit ’ner goldenen, auf den Hinterläufen stehenden Katze drauf.«
»Das muss sie sein – Alanna von Trebond und Olau, Sir Myles’ Erbin.« Der Wirt stand auf, band die Schürze ab und warf sie auf den Tisch. »Wo wir ja schon den Shang-Drachen hierhaben, müsste das eigentlich eine gute Woche werden. Im Hof vor den Ställen, hast du gesagt?«
Alanna von Trebond und Olau, manchmal auch wegen der großen Katze auf dem Schild »die Löwin« genannt, war
überrascht, als der Wirt sie begrüßen kam. Der Besitzer einer gut gehenden Herberge nahm seine Gäste nur dann selbst in Empfang, wenn sie reich oder berühmt waren. Da Alanna ein Jahr oder länger in der Großen Südwüste von Tortall gelebt hatte, war ihr nicht klar, dass sie inzwischen tatsächlich berühmt geworden war.
So stehend und mit ihrem Kater auf dem Arm wirkte sie klein und eher kräftig als muskulös. So, wie sie aussah, wäre keiner auf die Idee gekommen, dass es ihr gelungen war, jahrelang ihr Geschlecht geheim zu halten, um die harte Ausbildung zum Ritter zu durchlaufen. Und ganz sicher ließ sich nicht erkennen, dass sie eine so hervorragende Schülerin gewesen war, dass einige Männer – und zwar solche, die es beurteilen konnten – sie als den besten Knappen von ganz Tortall bezeichnet hatten.
Genauso wenig sah man ihr an, dass einer der reichsten unter den Edlen des Königreichs sie an Kindes statt angenommen und als Erbin eingesetzt hatte. »Ich weiß nicht, ob Euch Sir Myles Bescheid
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