Alanna - Das Lied der Loewin
Zahnstocher.
Bei dem Wegweiser, den sie am Morgen gesehen hatten, machten Alanna und Coram Halt. Hastig breitete die Ritterin eine Decke über das nasse Gras und Coram legte behutsam die Zauberin darauf. Die Frau, die sie gerettet hatten, war um die vierzig, ihr Haar war dunkel, ihre Augen waren tiefbraun. Sie war mit alten und neuen Verletzungen übersät, ihr Mundwinkel war durch ein Rinnsal frischen Blutes gezeichnet, und sie hatte schwere Brandwunden.
Alanna nahm ihre Hand und fühlte mit ihrer Gabe in sie hinein, obwohl sie schon wusste, was sie vorfinden würde. »Verbrauch deine Kraft nicht, Kind!« Die Stimme der Frau klang heiser. »Ich weiß, dass ich sterben muss.«
Alanna war elend zumute, als sie zurückwich. »Woher habt Ihr diese tiefen Wunden?«
»Sie haben mich gestern gesteinigt«, war die Antwort. »Meine armen Kinder, wer wird jetzt auf sie aufpassen?«
»Mit denen habt Ihr Mitleid?«, fragte Coram fassungslos.
»Es war ein schrecklicher Winter«, flüsterte sie. »Die Nahrung wurde knapp. Yahzeds Priester sagte ihnen, es sei meine Schuld. Die Lebensmittelvorräte würden sich von
selbst erneuern, wenn sie mich töten würden. Sie hatten Hunger.«
»Idioten«, brummte Coram.
Die Zauberin nahm Alannas Hand. »Ihr beide schenkt mir einen Tod, wie ich ihn mir nicht erhoffte – friedlich unter Freunden liegend. Halef Seif sandte euch?« Alanna nickte. »Ich betete darum, dass er mir helfen möge. Ihr dürft niemals denken, dass ihr zu spät kamt. Mein Leben war zu Ende, als sie vor einer Woche Hand an mich legten. Wie konnte ich weiterleben, wo ich doch wusste, dass diejenigen, die ich zur Welt brachte und liebte, mich tot wollen?« Sie drückte Alannas Hand und sagte: »Öffne mir dein Herz!«
Alanna spürte die Zauberin als freundliche, sanfte Gegenwart in sich, was ihre Bitterkeit über den nahenden Tod der Frau milderte. Eine Sekunde später ließ die ältere Frau Alannas Hand los. Sie schwitzte und zitterte von der Anstrengung. »Du bist diejenige, die ich brauche«, keuchte sie. »Hör zu, Alanna von Trebond. Ich habe ein Geschenk für dich. Wirst du es nehmen?«
Alanna berührte den Glutstein. Er war warm, aber nicht heiß. Was die Zauberin zu sagen hatte, musste wichtig sein. »Fahrt fort!«
Die zerschundenen Lippen der Frau öffneten sich zu einem Lächeln. »Hör gut zu! Du hast das Wissen, dein zerbrochenes Schwert zu flicken. Es liegt in dem Zauberspruch, der dich mit dem Stamm des Blutigen Falken und mit deinem Adoptivvater vereint. Es liegt in dem Spruch, der den Prinzen zur Stimme der Stämme machte. Nimm das Kristallschwert, auf dass es eins werde mit deiner eigenen Klinge! Du wirst es brauchen: Tortall schreitet einer dunklen Zeit entgegen.«
Alanna nickte und biss sich auf die zitternde Lippe.
Die Zauberin griff in ihr zerrissenes Kleid und zog einen angesengten, prall gefüllten Umschlag aus Seide hervor. »Ich hätte ihn verbrennen lassen, doch nun kannst du ihn Halef Seif überbringen. Er wird wissen, was zu tun ist.« Sie schauderte, ihre Gliedmaßen zuckten. Als der Schüttelkrampf vorüber war, sagte sie: »Lass dich durch nichts davon abhalten, den Umschlag Halef Seif zu übergeben!«
»Ich werde es tun«, versprach Alanna. »Sorgt Euch nicht.« Die Frau nickte. »Ich bin so müde«, wisperte sie. »Ich danke dir.« Sie lächelte Trusty zu. »Ich danke euch allen dreien.« Plötzlich wurde ihr Atem flach. »Sagt Halef Seif, dass ich auf ihn warten werde, wenn auch er die Reise antritt ...« Ihre Stimme wurde leiser und verklang; gleich darauf verstummte ihr Atem. Alanna schloss ihr sanft die Augen. Tränenüberströmt stand sie auf.
Coram begrub die Zauberin. »Weißt du überhaupt, wie sie hieß?«
Alanna schüttelte den Kopf. Sie sah zu, wie ihr Begleiter den letzten Rest Erde auf das Grab schaufelte. »Halef Seif hat ihren Namen nie erwähnt, genauso wenig wie sie selbst.«
»Ein Jammer, dass sie nicht mal einen Grabstein kriegt«, sagte Coram düster. »Aber wenn wir ins Dorf zurückgehen und uns nach ihrem Namen erkundigen, dann kostet uns das den Kopf.«
»Sie soll einen Grabstein kriegen«, flüsterte Alanna.
Du hast nicht die Kraft, warnte Trusty. Wann wirst du endlich lernen, rechtzeitig aufzuhören?
»Diese eine Sache mach ich noch«, gab sie zurück. »Tretet beiseite! Alle beide.«
Als Coram und Trusty gehorchten, ballte sie die Hände zu Fäusten. Es gab keinen Zauberspruch für das, was sie vorhatte,
aber sie war fest entschlossen sich
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