Alanna - Das Lied der Loewin
seine Stimme zu. »Nein, du musst beweisen, dass du bist wie Lord Thom und alles zustande bringst.«
Alanna zwang sich die Augen zu öffnen. Matt lächelte sie dem Mann zu, der ihr half sich aufzusetzen. Sie war in ihre Decken gewickelt. »Ich wollte nur mein Schwert flicken. Heute Abend veranstalte ich kein Feuerwerk mehr. Ich verspreche es dir, Coram.«
Er schnaubte. Ganz offensichtlich glaubte er ihr nicht. Vorsichtig hob er etwas hoch und legte ihre Hand darum.
Fast war sie zu müde, es hochzuheben. Oben an dem silbernen Heft war Blitzs abgenutzter, runder Kristall eingelassen. Die Klinge war schmal, wie es die von Blitz gewesen war, und sie bestand aus einem Stahl, der gespenstisch grün schimmerte. Keine fremde Magie und keine Wut waren zu spüren; das Schwert lag gut in ihrer Hand. Während sie es betrachtete, bemerkte Coram: »Du hast dich ganz schön verändert, meinst du nicht? Noch vor ’nem Jahr sagtest du, du wollest nie mehr deine Zauberkraft benutzen. Jetzt bist du Schamanin und erfindest dir deine eigenen Zaubersprüche.«
Alanna lächelte reumütig. »Wenn man versucht, einen Teil seines Selbst zu verleugnen, dann passieren Dinge, die dazu führen, dass man ausgerechnet diesen Teil dringender braucht als den Rest. Ist dir das auch schon mal aufgefallen? Ich hatte Angst vor der Magie, was zum Teil daran lag, dass ich nicht sicher war, ob sie kontrolliert werden kann. Doch das Kristallschwert lehrte mich, dass es möglich ist. Bevor ich zu den Bazhir kam, sah ich eine Menge Magie, die man nur zum Bösen verwendete. Davon wurde ich als Schamanin geheilt. Ich glaube, ich habe jetzt keine Angst mehr vor meiner Gabe. Ich bin es, die sie benutzt – es ist nicht so, dass die Gabe mich benutzt. Nun kann ich den Leuten, meinem Schwur entsprechend, mit meinen Fähigkeiten helfen. Klingt das vernünftig?«, erkundigte sie sich besorgt.
Coram grinste. »So vernünftig, wie etwas klingen kann, was eine Edle von sich gibt.«
»Du hast zu lange mit Dieben gelebt«, erklärte ihm Alanna. Sie befühlte die Schneide ihres Schwertes mit dem Daumen
und schnitt sich. Freudestrahlend hob sie Blitz hoch. »jetzt bin ich zu allem bereit!«
»Wo wir gerade davon reden«, sagte Coram, der eben das Feuer für die Nacht mit Asche abdeckte. »Was machen wir jetzt? In welche Richtung wenden wir uns morgen früh?« Gehen mir irgendwohin, wo wir noch nie waren? , wollte Trusty wissen. Sein Schwanz zuckte erregt.
Erschöpft, aber zufrieden kroch Alanna in ihre Bettrolle. »Tja, erst mal müssen wir Halef Seif diesen Umschlag bringen, den uns die Zauberin gab.« Sie gähnte. »Er muss ziemlich wichtig sein, sonst hätte sie nicht versucht, ihn verbrennen zu lassen, damit ihn keiner in die Hände bekam, dem sie nicht vertraute.«
»Gut. Und dann?«
»Ich glaube, dann reiten wir Richtung Süden«, erklärte Alanna ihrem Gefährten. »König Barnesh von Maren hält im April ein großes Turnier ab. Ich will anfangen, mich wieder wie eine Ritterin zu benehmen. Vielleicht erleben wir unterwegs ein paar Abenteuer. Hört sich das gut an?«
Es wird langsam Zeit, knurrte Trusty, der es sich gerade vor ihrer Nase gemütlich machte.
Coram sagte von seiner eigenen Bettrolle her: »Hört sich großartig an. Und jetzt ruh dich aus, Löwin!«
Alanna griff neben sich, tastete nach Blitzs Heft und packte ihr nun wieder heiles Schwert, während sie mit einem müden Lächeln auf den Lippen langsam einschlief. Ihr erstes Jahr als Ritterin war vorüber. Sie hatte überlebt. Und falls irgendwelche Schwierigkeiten vor ihr lagen – nun, sie war bereit dafür.
VIERTES BUCH
Das Juwel der Macht
1
Die Löwin aus Tortall
An einem Nachmittag im März erreichten ein Ritter und sein bewaffneter Begleiter die Stadttore Berats im Lande Maren. Die Wachtposten lächelten hinter vorgehaltener Hand, als sie den Edlen musterten – von der Größe her hätte der bartlose Jüngling gut und gerne ein Knappe sein können. Nur an seinem Schild war abzulesen, dass er von höherem Rang sein musste. Laut äußerten sie ihre Zweifel, ob dieser junge Mann wohl seine Lanze halten, geschweige denn einen Feind damit aus dem Sattel holen könne. Als der Ritter das hörte, schenkte er ihnen ein breites Lächeln. Die Wachtposten, denen diese Reaktion gefiel, verstummten. Der bewaffnete Begleiter zog am Führungszügel des Packpferds, dann ritt die kleine Gruppe durch die Tore und in die Stadt hinein.
Die meisten Edlen waren gut gekleidet, dieser Ritter aber trug
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