Alarm in Sköldgatan
Besatzungen über die Feiertage nach Hause gefahren waren. Vor einem der verschlossenen Schuppen standen zweihundert Traktoren, die gerade mit einem Schiff aus England gekommen waren und bald an Käufer in den nahen ländlichen Bezirken verteilt werden sollten.
Abgesehen von dem Gekläff der Hunde war das schwache Zischen von der einige hundert Meter weiter weg liegenden Ölraffinerie das einzige Geräusch, das man hören konnte. Von daher kam auch ein Geruch nach Rohöl, stark genug, um Leute mit empfindlichen Nasen zu vertreiben.
Im ganzen Hafengebiet befanden sich nur zwei menschliche Wesen, zwei Jungen, die auf dem Bauch lagen und angelten. Sie lagen dicht nebeneinander, die Beine hatten sie gespreizt, und ihre Köpfe hingen über die Kaimauer.
Diese beiden Knirpse hatten vieles gemeinsam. Beide waren sechseinhalb Jahre alt, hatten dunkles Haar und braune Augen und schienen von der Sonne verbrannt, obwohl genaugenommen immer noch Winter war.
Sie waren zu Fuß von den armseligen elterlichen Wohnungen in den östlichen Stadtteilen gekommen, mit Fahrtenmessern im Gürtel und den aufgerollten Angelschnüren in den Hosentaschen. Ungefähr eine Stunde lang waren sie zwischen den Traktoren herumgelaufen und hatten sich mindestens auf fünfzig davon gesetzt. Dann hatten sie einige leere Flaschen gefunden, sie ins Wasser geschmissen und mit Steinen danach geworfen, ohne freilich zu treffen. Schließlich waren sie auf einen alten schrottreifen Gabelstapler gestoßen, von dessen Motor sie mit Mühe einige interessante und in ihren Augen wertvolle Kleinigkeiten abgeschraubt hatten.
Und nun lagen sie also auf dem Kai und angelten. Deswegen waren sie ja eigentlich hergekommen.
Die beiden Jungen waren keine Schweden, was gewissermaßen ihr Tun erklärte. Kein Kind, das in dieser Stadt geboren ist, würde je auf die Idee gekommen sein, ausgerechnet an dieser Stelle zu angeln, ganz einfach, weil die Chance, hier etwas an den Haken zu bekommen, ungefähr so groß war, wie einen lebenden Fisch in einer Dose Ölsardinen zu finden. Hier gab es nur alte Aale, die im Schlamm des Hafenbeckens rumorten. Und solche will kein echter Angler haben.
Die Jungen hießen Omer und Miodrag und waren Jugoslawen. Ihre Väter arbeiteten auf der Werft und die Mütter als Arbeiterinnen in einer Textilfabrik. Keiner von beiden hatte so lange im Land gewohnt, daß er die Sprache beherrschte. Miodrag konnte »eins, zwei, drei« sagen, aber das war auch alles. Die Aussicht, daß sie je viel mehr lernen würden, war mäßig, da sie sich alltags in einem Kinderheim aufhielten, in dem siebzig Prozent der Kinder Ausländer waren, und ihre Eltern wieder nach Hause ziehen wollten, sobald sie das Geld für eine eigene Existenz in ihrem Heimatland zusammengespart hatten.
Sie lagen ruhig da und starrten hinunter in das Wasser, und beide hofften, daß bald ein großer Fisch anbeißen würde, vielleicht ein so großer, daß sie ihn nicht halten konnten und er sie ins Wasser zog und sie im Hafenbecken ertrinken würden.
Und genau in diesem Moment geschah etwas, was sonst sehr selten passiert und spezielle klimatische und hydrologische Verhältnisse erfordert. Viertel nach drei an diesem stillen sonnigen Nachmittag bewegte sich ein Gürtel frischen, reinen Wassers, das mit der Strömung vom Sund in die Bucht getrieben worden war, langsam durch das schmutzige Hafenbecken. Plötzlich merkten Omer und Miodrag, daß sie ihre Angelschnur auch unter der Wasseroberfläche sehen konnten und gleich danach auch die Bleigewichte und die Fliegen. Das Wasser wurde langsam klarer und klarer, bis sie den Grund sehen konnten und einen alten Topf und eine verrostete Eisenstange entdeckten. Und plötzlich erblickten sie vielleicht zehn Meter von der Kaimauer entfernt etwas, was sie außerordentlich verblüffte und ihre Phantasie sofort ungeheuer anspornte.
Dieser Gegenstand war ein Auto. Das sahen sie klar und deutlich. Es schien blau zu sein und stand mit der Rückseite zum Kai, die Türen waren geschlossen und die Räder in den Schlamm gesunken, so als ob jemand es da geparkt hätte, auf dem Marktplatz einer geheimnisvollen Stadt auf dem Grunde des Meeres. Soweit sie das beurteilen konnten, war der Wagen gut erhalten und hatte keine Beulen oder Lackschäden.
Und dann wurde das Wasser wieder grau, das Fahrzeug auf dem Meeresboden schien sich aufzulösen und vor ihren Augen zu verschwinden, und wenige Minuten später sahen sie nichts mehr, weder das Auto noch den Kochtopf
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