Alarmstufe Rot
lächelte. „Ist das lustig?”
„Nein, nur sehr vertraut.”
Mit einer dramatischen Geste legte sie die Hand auf ihr Herz. „Sag bloß, deine Eltern schwelgen auch in Schuldgefühlen?”
„Mein Vater kann es gut verbergen, aber er übt gern Druck auf mich aus. Ich bin von Kindesbeinen darauf getrimmt worden, Arzt zu werden. Ich sollte die Tradition fortführen, das wurde einfach von mir erwartet. Der Himmel weiß, was passiert wäre, wenn ich einen anderen Beruf ergriffen hätte - wenn ich zum Beispiel Fallschirmjäger geworden wäre, was ich in meinen rebellischen Jahren tatsächlich vorhatte.”
Letzteres konnte Brooke sich gut vorstellen. „Dein Vater war auch Arzt?”
„Ja, und sein Vater auch. Sie waren sehr engagiert.”
„Und das spornt dich an.”
Er sah sie überrascht an, als habe er so viel Einfühlungsvermögen von ihr nicht erwartet.
„Richtig. Das und die Tatsache, dass ich mir nicht vorstellen könnte, etwas anderes zu tun.
In einem anderen Beruf wäre ich nicht glücklich.”
„Ich finde, du verwaltest dein Erbe hervorragend. Ich halte dich für den besten Arzt in der Gegend. Vielleicht sogar im ganzen Staat.”
Plötzlich bog er nach links ab auf eine Brücke, die sich über den Fluss spannte. Dort blieb er stehen und lehnte sich an das steinerne Geländer.
„Macht dir dein Bein zu schaffen?” fragte sie und trat neben ihn.
„Nicht sehr. Ich dachte nur, wir könnten eine kleine Pause machen.”
Meinte er den Spaziergang oder die persönliche Wendung ihres Gesprächs? Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, während sie Schulter an Schulter dastanden und die Umgebung von ihrem Aussichtspunkt aus betrachteten. Mehr denn je empfand sie Jared als sehr menschlich, als einen Mann aus Fleisch und Blut und mit wunden Punkten, wie sie sie auch hatte. Ein Mann, der als Mediziner hohes Ansehen besaß. Ein Mann, der seine Arbeit als Chirurg nun gefährdet sehen musste.
„Ich möchte dir das von gestern Abend erklären”, sagte er und wandte sich zu ihr.
Bei dem Gedanken, was er mit ihr gemacht hatte, wie rasch sie auf seine Berührungen reagiert hatte, wurde sie hochrot. „Sagen wir einfach, solche Dinge kommen vor, und belassen wir es dabei.”
„Ich kann es nicht dabei belassen.”
Er blickte einen Moment in die Ferne, bevor er sie wieder ansah. „Wenn ich etwas sehr möchte, greife ich meistens mit beiden Händen zu. Da gibt es für mich kein Zögern. So habe ich es ge lernt, ich kann es nicht ändern. Bislang wollte ich es auch gar nicht ändern. Bis ich dich kennen gelernt habe.”
Ihr Herz flatterte wie ein Schmetterling. „Ich würde nicht wollen, dass du dich meinetwegen änderst. Ich bewundere deine Hartnäckigkeit.”
„Aber gestern Abend warst du in der Defensive. Mir war die ganze Zeit klar, dass es dir unangenehm ist, wie unsere Bezie hung sich entwickelt, und ich habe dich bedrängt. Doch ich bin bereit, alles zu versuchen, damit du eine andere Einstellung zu uns bekommst.”
Ihre Einstellung hatte sich schon längst gewandelt, mit jedem Kuss, mit jeder Einzelheit, die er von sich preisgegeben hatte. „Jared, ich bin eine erwachsene Frau, ich hätte mich wehren können. Aber ich wollte mich nicht wehren.” So, jetzt war es heraus. Und es war gar nicht so schwierig gewesen, wie sie geglaubt hatte.
Sein Lächeln wirkte äußerst zufrieden. „Ist das dein Ernst?”
„Mein voller. Wenn ich mich bedroht gefühlt hätte, hätte ich mein Spray und den Baseballschläger geholt und dir wäre es übel ergangen.”
Er legte den Kopf in den Nacken, sah zum sternenübersäten Himmel und lachte. Es war ein dunkler, voller Ton, der tief aus seinem Brustkorb kam.
„Komisch, warum überrascht mich das überhaupt nicht?”
„Weil du mich wahrscheinlich besser kennst, als du ahnst.” Besser, als ihr lieb war, auf jeden Fall.
Er nahm ihre Hände in seine. „Ich möchte dich noch viel besser kennen lernen.”
„Wir werden sehen.” Mehr konnte sie im Moment nicht versprechen, denn sie hatte noch immer Angst, einen großen Fehler zu machen. Doch die Versuchung war bereits so stark, dass sie alle Vorsicht überwog.
„Bist du je mit so einem gefahren?” Er wies auf ein Bootstaxi, das gerade unter der Brücke hindurchfuhr.
„Nur ein Mal, als ich es sehr eilig hatte. Ich musste rasch von einem Punkt zum anderen.
Aber ich habe noch nie eine Rund fahrt gemacht.”
„Hast du Lust?”
„Klar, warum nicht? Das könnte lustig sein.”
Überraschenderweise
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