Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Wohlwollen einbrachte. Nur beim Finale, wenn er seine Elv’en-Magik anwandte, um eine Schwebenummer zu vollbringen, spendete die Menge ihm begeistert Beifall.
Merik trat mit einer angedeuteten Verbeugung zur Seite. »Meine Dame«, sagte er mit schlichter Höflichkeit.
Elena sah ihn stirnrunzelnd an. »Vorsichtig!« warnte sie ihn, plötzlich verärgert. »Vergiss nicht, ich bin angeblich Er’rils Sohn.«
Er tat ihre Besorgnis mit einem Schlenker des dünnen Handgelenks ab, und ein paar Vogelfedern flogen aus seinem Ärmel. Sein blasses Gesicht errötete leicht. »Ich sollte schon mal raus gehen«, murmelte er. »Mogwied ist gleich fertig.«
Sie nickte und setzte ihren Weg zum Wagen fort. Der sie abschirmende Vorhang reichte von der Bühne bis zur Wagenecke, sodass sich Elena nicht mehr den schmachtenden Blicken irgendwelcher Zuschauer ausgesetzt sah. Zu ihrer Rechten stand ein leerer Lagerschuppen, der die Ernte des Herbstes erwartete. Sie hatten ihren Zirkus an einer überaus günstigen Stelle auf dem Platz aufgebaut, wo keine neugierigen Augen hinter die Bühne spähen konnten.
Nachdem Merik durch die Öffnung im Vorhang verschwunden war, hatte Elena einen Augenblick für sich allein; alle anderen waren mit der Schau beschäftigt. Sie hörte, wie Ferndal auf der Bühne heulte und damit bei den Zuschauern ein verhaltenes, ängstliches Lachen auslöste. Elena wusste, dass gleich neben der Bühne die einzige weitere Attraktion ihrer Truppe stand: eine Tierschau mit einem einzigen Ausstellungsstück. In einem Käfig mit Vorhängen, bewacht von Kral, kauerte Tol’chuk. Die Leute mussten ein Kupferstück zahlen, um einen Blick auf den gefangenen Og’er werfen zu dürfen. Die meisten Gaffer lachten über das jämmerliche Aussehen des angeblichen ›Ungeheuers‹, das falsche Bockshörner auf dem Kopf und einen aufgemalten Schnauzbart trug. Niemand hegte den Verdacht, dass das, was sie da vor sich sahen, tatsächlich ein Og’er war - und das war ganz in Er’rils Sinn. Denn eine Schaustellertruppe, die einen echten Og’er bei sich hätte, würde zu sehr von sich reden machen und vielleicht ungebührlich viel Aufmerksamkeit erregen. Deshalb hatten sie Tol’chuks Äußeres mit falschen Attributen aufgeputzt, um seine wahre Natur zu verschleiern. Dennoch zog diese Attraktion Scharen Neugieriger an, und das Ganze wurde noch gesteigert durch Kral, der mit steinerner Miene neben dem Käfig stand, die riesige Axt am Gürtel, ein Schild zu Füßen, auf dem zu lesen war: Warnung vor dem Ungeheuer - zur eigenen Sicherheit des Publikums.
Da nun also alle anderen beschäftigt waren, hatte Elena einen Augenblick für sich ganz allein, eine seltene Gelegenheit in einer so eng zusammenlebenden Gruppe. Als einzige Frau in der Gesellschaft von lauter Männern genoss sie solche Augenblicke. Sie lächelte und ging zur Rückseite des Wagens, dabei kratzte sie an dem Stoffstreifen, der ihr fest um die Brust gewickelt worden war, um sie flach aussehen zu lassen.
In dem Augenblick wurde Elena angegriffen - obwohl es nicht gleich erkennbar war, dass es sich bei der zufälligen Begegnung um einen Angriff handelte. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung und machte einen Satz von der dunklen Eingangsnische des Lagerschuppens weg.
Ein kleiner, nackter Junge trat aus der Deckung. Er konnte nicht älter als drei Jahre sein; er stand da und starrte sie an, wobei er am Daumen lutschte. Er war so schmutzig wie die Backsteine des Lagerschuppens, mit schlammfarbigem Haar und rußverschmiertem Gesicht. Sein Gesicht war, wie das aller Kinder in seinem Alter, rund und voll Offenheit und Ehrlichkeit. Offenbar war er sich seiner Nacktheit nicht bewusst; er lächelte um den Daumen herum und zeigte mit der anderen Hand auf Elena.
Sie hockte sich hin. »Hast du dich verlaufen?« fragte sie und lockte ihn zu sich wie ein kleines Hündchen.
Er zog mit einem lauten Schmatzen den Daumen aus dem Mund. »Du solltest nicht hier sein, edle Dame.«
Elena lächelte. Wieso wusste der kleine Junge, dass sie eine Frau war? Vielleicht hatte ihre Stimme sie verraten. »Ist schon in Ordnung«, entgegnete sie. »Ich gehöre zum Zirkus.«
»Dsirkuds?« lispelte er.
Sie streifte den linken Handschuh ab und bot ihm die bloße Hand dar. Sie war klug genug, ihm nicht die rot gefleckte Rechte hinzustrecken; der seltsame Anblick würde das Kind vielleicht erschrecken. »Also, wo sind deine Mami und dein Papi? Haben sie sich die Schau angesehen?«
Er nahm ihre
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