Alasea 02 - Das Buch des Sturms
kauerten weitere Brüder ihres Geheimbundes mit geneigten Köpfen, in einen geistigen Austausch mit dem Baum versunken. Einige hatten die Hände zu den Kristallsternen an den Wänden erhoben und strebten nach prophetischen Visionen.
Ihre Glaubensgemeinschaft, älter als die eigentliche Bruderschaft, gegründet in jener Zeit, als Chi die Zauberer der Welt noch mit Magik gesegnet hatte, hatte ihre Pflichten nicht vernachlässigt. Die Mitglieder der Gruppe arbeiteten immer noch daran, die Pfade der Zukunft durch das Streben nach prophetischen Visionen zu enthüllen. Vor langer Zeit hatten ihre Worte sowohl das Verschwinden Chis von dieser Welt als auch das Wüten Gul’gothas vorausgesagt. Sie hatten versucht, ihre Zaubererkollegen zu warnen, doch ihre Worte wurden als Blasphemie eingestuft. Die anderen konnten sich nicht vorstellen, dass der Geist Chis sie jemals verlassen würde, und so wurden die Mitglieder ihrer Gemeinschaft zu Häretikern erklärt und aus dem Orden verbannt; sie wurden von den Küsten A’loatals ins Exil geschickt.
Unangenehme Wahrheiten finden selten Gehör.
Doch sogar der Bann, der über die Glaubensgemeinschaft verhängt wurde, war von einigen ihrer Mitglieder vorausgesehen worden. Eine kleine Schar von Sehern widersetzte sich den Verfügungen des Ordens und verschwand in den Mauern und geheimen Winkeln der Burg. Im Laufe der vielen seither vergangenen Winter hatten sie im Geheimen gearbeitet. Auch ohne die Hilfe der Bruderschaft bereiteten sie sich auf die zukünftige Morgendämmerung vor.
Der Bund der Ho’fro würde seine Pflichten niemals vernachlässigen.
Moris nahm die Hand von seinem Silberstern und trat in den Raum. Vor sehr langer Zeit hatte der mächtigste Seher ihrer Gemeinschaft, der Zauberer namens Greschym, die Vision ausgesprochen, die das Buch des Blutes geschaffen hatte. Dann hatte er sein Leben dem Binden des Buches geopfert und sein Blut hingegeben, um die Richtigkeit seiner Vision unter Beweis zu stellen. Durfte Moris weniger anbieten?
Moris ging nahe an die riesige Wurzel heran und kniete nieder. Er selbst hatte die Vision dieser Nacht ausgesprochen: dass sich Ragnar’k wieder bewegen und das Blut eines Drachen den Beginn der Schlacht um A’loatal anzeigen würde.
DRITTES BUCH
Schattenbach
14
Elena bemühte sich, nicht zu zucken, als die Dolche auf sie zuflogen. Zwei Wurfmesser zischten über die Köpfe der Zuschauer hinweg; in ihren Klingen aus geschliffenem Stahl spiegelte sich funkelnd der mittägliche Sonnenschein. Der Messerwerfer, Er’ril, stand mit verbundenen Augen am anderen Ende des Marktplatzes. Obwohl Elena wusste, dass das Tuch vor Er’rils Augen geschickt mit Schlitzen versehen worden war und Er’rils Sicht nur ein klein wenig beeinträchtigte, konnte sie nicht umhin, den Atem anzuhalten und nervös zu den fliegenden Dolchen zu blinzeln.
Sie hörte die Stimme eines der Stadtbewohner in ihrer Nähe. »Der Junge ist anscheinend blöd. Steht still da wie eine Kuh, während jemand mit Messern auf seinen Kopf zielt.«
Ein Nachbar pflichtete ihm bei. »Aber wer von den beiden ist der Blödere? Das muss man sich mal vorstellen, den eigenen Sohn mit Messern zu bewerfen!«
Dann war es vorbei.
Die beiden Dolche bohrten sich in die Eichentür hinter Elena, je einer zu beiden Seiten ihres Kopfes, haarscharf neben den Ohren. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und trat vor. Als sie sich vor dem Publikum tief verneigte, fiel ein Schweißtropfen, der nichts mit der Hitze des Tages zu tun hatte, von ihrer Nase auf die Bretter der Bühne. Winkend richtete sie sich wieder auf, in Erwiderung auf Er’rils Winken von der anderen Seite des Marktplatzes.
Seit drei Monaten reiste die Truppe jetzt schon mit kleinen Zirkusdarbietungen durchs Land, von einem Dorf zum nächsten. Diesmal hatten sie jedoch in einer größeren Ortschaft Halt gemacht, einer Stadt, die mindestens doppelt so groß war wie Winterberg. Es war das erste Mal, dass sie sich in eine solche Stadt gewagt hatten. Die Stadt Schattenbach, benannt nach dem Fluss, der durch ihre Mitte floss, war einer von drei Binnenhäfen in der Ebene, einer an jedem größeren Fluss gelegen, der diese Region durchquerte. Flusskähne luden in Schattenbach die Erzeugnisse der Ebene - Ballen von Tabakblättern, Roggen, der nur hier angebaut wurde, Duftöle, gewonnen aus Kräutern, die in dieser Gegend einzigartig waren - und brachten sie in die Städte an der Küste, zum Tausch gegen
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