Alasea 02 - Das Buch des Sturms
andere Handelswaren. Da Schattenbach somit ein Hauptumschlagsplatz war, handelte es sich um eine wohlhabende Stadt, und Er’ril hoffte, dass sie hier genügend verdienen würden, um sich den Fahrpreis für die Schiffsreise zur Küste leisten zu können.
Wie sich herausstellte, war das eine kluge Entscheidung gewesen. Während der vergangenen vier Tage war die Vorstellung stets gut besucht gewesen.
Tosender Beifall brandete am Ende von Elenas und Er’rils Darbietung auf. Neben der Bühne stand Mogwied, bekleidet mit einem roten und grünen Jagdkostüm, und an seiner Seite Ferndal. Einige Kinder deuteten mit staunend aufgerissenen Augen auf den großen Baumwolf. Angst und Ehrfurcht waren aus ihren flüsternden Stimmen herauszuhören. Mogwied und sein dressierter Wolf waren eine beliebte Nummer und brachten mehr Kupferstücke von der Menge ein als die vermeintliche ›Vater-und-Sohn‹-Messerwurfschau.
Während sie von der Bretterbühne sprang, betastete Elena ihr kurz gestutztes, schwarz gefärbtes Haar. Einige der jungen Mädchen, die Ferndal angeschaut hatten, sahen verstohlen zu ihr hinüber. Die schüchternen Blicke und flüchtigen Andeutungen eines Lächelns ließen vermuten, dass manche von ihnen von dem mutigen Zirkus-›Jungen‹ mehr als angetan waren. Elena seufzte; sie war dieses Verkleidungsspiel leid.
Dennoch verdankten sie dieser Maskerade, dass sie bis jetzt unbehelligt geblieben waren.
Unzählige Zirkusgruppen wanderten durch die weiten Ebenen von Standi und verdienten sich auf ähnliche Weise ihren Lebensunterhalt. Wenn die Ernte gut war, hatten sie ihr Auskommen; erst sobald der Winter kam, versiegte der Strom der Kupferstücke wie die Wärme der Sonne. Zurzeit war die Prärielandschaft gesprenkelt mit fröhlich bunten Wagen und Schaustellern aller Art. Es war leicht, in deren Menge unterzugehen.
Hin und wieder begegnete ihre Truppe kleinen Bataillonen bewaffneter Gul’gotha-Soldaten, die in der Gegend patrouillierten, und jeder von Elenas Gefährten wusste, wen sie suchten. Eines Abends war die Truppe sogar vor einer solchen wüsten Horde aufgetreten, doch keinem der Soldaten war auch nur das Geringste aufgefallen. Tatsächlich hatte der Hauptmann ihnen sogar einen Silberling als besondere Zuwendung bezahlt. Die Verkleidung hatte sich sehr gut bewährt.
Im Laufe der Zeit ließ die Nachwirkung der Schrecken, die sie am Fuß der Berge durchgemacht hatten, ein wenig nach, doch die Trauer und die Tränen für Ni’lahn blieben. Ihre Laute reiste weiterhin mit der Truppe, als Erinnerung an die gefallene Freundin, fast wie ein Vorwurf, weil es ihnen nicht gelungen war, sie zu beschützen. Seltsamerweise hatte ausgerechnet Merik schließlich darauf bestanden, die Verantwortung für das empfindliche Instrument zu übernehmen. »Wir waren einst Feinde«, hatte er erklärt. »Aber vor sehr langer Zeit haben unsere Völker zusammengearbeitet. Ich möchte dieses Instrument eines Tages meinem Elv’en-Volk mitbringen, als Zeichen der Schönheit und des Edelmuts der Nyphai. Vielleicht kann die Nyphai in seiner Musik auf irgendeine Weise weiterleben.« Eines Abends hatte Merik auf dem Instrument gespielt, und für einen Augenblick hatte es den Anschein gehabt, als habe er mit seinen Worten Recht gehabt. In der Musik schien Ni’lahns Geist für sie zu singen, und zum ersten Mal hatten sie das Gefühl, dass sie sich unbelastet an sie erinnern konnten.
So verstrichen die Tage. Anfangs waren alle erleichtert gewesen, dass ihre Gruppe keinen weiteren Angriffen ausgesetzt war und dass sie nicht mehr verfolgt wurden. Doch während die Zeit verging und die Räder ihres Wagens Hunderte von Meilen zurücklegten, blickten sich die Gefährten immer öfter wieder besorgt um und zuckten beim geringsten Laut ein wenig zusammen, und in ihren nächtlichen Lagerfeuern brannten einige zusätzliche Scheite, damit die Dunkelheit möglichst fern blieb. Es war, als ob die ganze Truppe den Atem anhalten und auf den nächsten Angriff warten würde.
Die Ruhe und der Frieden zermürbten sie allmählich.
Seufzend und immer noch angespannt nach der Messerwurfnummer, schob Elena den dünnen Vorhang hinter der Bühne beiseite und wäre fast gegen Merik geprallt. Er stand dort, bereit für seinen Auftritt, und schob mit peinlich berührter Miene einen kleinen Spatz in einen seiner gebauschten Ärmel. Seine seichte Zaubernummer kam meist nicht besonders gut an. Das Publikum spürte anscheinend seine Überheblichkeit, die ihm kein
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