Alasea 02 - Das Buch des Sturms
neu entstehen würde. ›Grünes Leben aus rotem Feuer‹, waren die letzten Worte des sterbenden Ältesten.« Ni’lahn wischte sich die Tränen ab und deutete auf das Feuer. »Heute haben wir kein Feuer der Vernichtung entzündet, sondern die erste Flamme neuen Lebens.«
Er’ril rief die Aufmerksamkeit aller Gefährten wieder zur allgemeinen Sache. »Das Feuer brennt heftig genug. Jetzt ist es Zeit, den Flammen Beine zu machen. Für euch alle gilt: Nehmt euer Gepäck auf und macht euch fertig zum Aufbruch. Wir müssen uns den voranrückenden Flammen dicht an die Fersen heften.« Dann wandte sich Er’ril an Merik im Besonderen. »Bist du bereit?«
»Immer.« Merik griff nach den Zügeln seines Fohlens und führte es ein paar Schritte von der Gruppe weg, zum Rand des Feuers. Sobald er sich von der Gruppe gelöst hatte, stieg er auf sein Reittier, dann senkte er den Kopf und schlang sich die Arme fest um die Brust. Zunächst geschah gar nichts. Elena bemerkte, dass Er’rils Hengst tänzelte, da das Tier die Unruhe seines Herrn spürte. Was als Nächstes geschehen musste, würde entscheidend für das Gelingen ihres Plans sein.
Sie warteten, jeder beobachtete den anderen. Nur Merik saß ruhig auf seinem Pferd, den Kopf weiterhin gesenkt.
Da hallte ein hohes Pfeifen von den Gipfeln wider wie der Jagdschrei eines Habichts. Elena hielt den Atem an. Zunächst spürte sie eine sanfte Bewegung in der Luft. Der Rauch, der sie in Wogen umwallt und den Himmel mit seinem Gestank und seinem Ruß verunreinigt hatte, löste sich plötzlich um sie herum auf. Frische Luft kam von den kalten Gipfeln heran.
Dann geschah es.
Ein Windstoß, bei dem alle Mitglieder der Gruppe Mühe hatten, ihre Tiere still zu halten, wehte heran, hüllte sie ein und schlug gegen die tobende Front des Feuers. Die Flammen loderten hoch auf, züngelten bis zum Himmel empor, als ob sie versuchten, den Wind aufzuhalten - doch die Bö wurde immer stärker.
Elena duckte sich auf Nebelbrauts Rücken, um dem Sturm weniger Angriffsfläche zu bieten. Hinter ihr läuteten die Glocken des Wagens voller Zorn, und die Plane knatterte heftig im Wind. Wegen des Pfeifens in ihren Ohren hörte sie kaum, dass Er’ril ihnen allen zubrüllte, sich bereitzumachen.
Bald zog sich das Feuer vor dem Wind zurück, grub sich tiefer ins Waldesinnere hinein und bahnte sich einen breiten Pfad durch die Baumreihen. Der Wind, der nun wusste, dass er die Schlacht gewonnen hatte, beruhigte sich ein wenig und blies nun mit gleichmäßiger Kraft von den Gipfeln und trieb das Feuer weiter. Ihr Plan war, eine Schneise durch den Wald zu brennen, die breit genug wäre, um die Spinnen zu beiden Seiten in Schach zu halten. Aber sie hatten nicht allzu viel Zeit.
»Los!« brüllte Er’ril. »Bleibt zusammen.«
Vor ihnen warf Merik die Kapuze zurück. Sein Gesicht, das von dem sich zurückziehenden Feuer beleuchtet wurde, glühte vor Inbrunst. Er wandte sich zu Er’ril um. »Zweifelst du immer noch an meinen Fähigkeiten?«
Er’ril ritt an der Spitze der Gruppe. »Keineswegs, solange dieser Wind weiterhin so weht«, sagte er, als beide auf gleicher Höhe waren.
Merik versuchte, ein finsteres Gesicht zu machen, doch nachdem er die Elementarkraft in seinem Elv’en-Blut berührt hatte, konnte er die Ehrfurcht und das Staunen in seinen Augen nicht mehr unterdrücken. Zum ersten Mal sah Elena den Prinzen in dem Mann.
»Wir müssen uns beeilen«, brüllte Er’ril und bemühte sich, sich über das tosende Feuer hinweg Gehör zu verschaffen.
Elena wandte sich dem brennenden Wald zu. Der Pfad, der eben noch von Flammen und Rauch verhüllt gewesen war, bot sich jetzt als offener Schlund dar, der sie erwartete. Elena zog sich den Umhang fester um die Schultern und trieb Nebelbraut voran.
Vira’ni kniete nackt auf der kleinen Lichtung, eine zarte Gestalt wie aus geschnitztem Mondlicht, die Finger tief in die Erde gegraben. Sie lauschte mit leicht geneigtem Kopf. Ihr langes Haar, seidenfein wie die Fäden ihrer Kinder, wallte auf den von Blättern übersäten Waldboden hinab.
Die Bäume um sie herum waren jetzt nur noch schwarze Skelette unter Leichentüchern aus Spinnweben. Tausende ihrer Kinder huschten geschäftig über die Bahnen ihres großartigen Netzgebildes, nachbessernd und anbauend, kämpfend und sich paarend. Doch Vira’ni nahm von alledem keine Notiz, während sie ihre Sinne anstrengte. Sie lag in einem Nest aus Silberfäden; acht Stränge aus geflochtener Seide waren in
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