Alasea 02 - Das Buch des Sturms
grauste, dass auch nur diese winzigen Nadelspitzen der Verderbnis ihre Haut berührten, zog sich die Maske, die ihr vom Gesicht gefallen war, als sie ihre Magik ausgeübte hatte, wieder über Mund und Nase. Sie erschauderte, als sich Spinnenfäden an ihren Umhang und ihre Kapuze hefteten. Selbst Nebelbraut wieherte beunruhigt und brauchte keine weitere Ermutigung, um schnell zu laufen.
Bald gelangten sie aus der Senke den Hang hinauf und wieder in den verbrannten Wald. Doch die Erleichterung darüber, dass sie der unheilvollen Mulde entkommen waren, hielt nicht lange an. Zunächst war die Rückkehr der Hitze etwas Angenehmes; aber dann roch die Luft nach verbranntem Holz und giftigen Gasen, und der sengende Atem des Feuers hauchte sie an. Elena hustete, und Nebelbraut wurde merklich langsamer, da die heiße Luft dem schwitzenden Pferd schwer zu schaffen machte.
Der Abstand zwischen Elena und Er’ril vergrößerte sich schnell. Hinter sich hörte Elena die bimmelnden Glocken des Wagens, der immer näher kam. Sie beugte sich vor und strich mit der flachen Hand über Nebelbrauts schweißnassen Nacken. »Es ist nicht mehr sehr weit.«
Da Rauch und Asche ihre Sichtweite begrenzten, betete Elena im Stillen, dass diese Worte keine Lüge waren. Sie hatte Merik und Ni’lahn schon vor einiger Zeit aus den Augen verloren, da der Dunst sie verschluckt hatte, und jetzt wirkte sogar Er’ril nur noch wie ein Gespenst auf dem Weg vor ihr. Sie überlegte, ob sie ihn rufen sollte, kam jedoch zu dem Schluss, dass es keinen Sinn hätte. Er konnte Nebelbraut auch nicht schneller laufen lassen.
Sie klopfte Nebelbraut aufmunternd auf die Flanke und flüsterte anspornende Worte, um der Stute mitzuteilen, dass Eile angesagt war. Als Antwort schnaubte Nebelbraut laut, und ihre Hufe gruben sich fester in den Boden. Ihre Flanken schaukelten und rollten unter Elena, während sich die Stute durch die rauchverhangene Luft mühte. Er’rils Gestalt nahm wieder mehr Form an, als sich der Abstand zwischen ihnen verringerte. »Braves Mädchen«, sang Elena dem Pferd ins Ohr. »Ich wusste, dass du es kannst.«
Plötzlich stieß Nebelbrauts Huf gegen eine Wurzel, und die Stute stolperte. Elena bemühte sich, im Sattel zu bleiben, doch sie verlor den Kampf und trudelte durch die Luft. Sie wappnete sich für den Aufprall auf dem harten Boden - aber der blieb aus. Stattdessen fingen kräftige Arme sie auf, bevor sie aufschlug.
Elena blickte in das unheimliche, mit Reißzähnen bewehrte Gesicht Tol’chuks. Er rannte, wobei er sie trug. Er hielt sie an die Brust gedrückt, und die nackte Haut des Og’ers fühlte sich wie grobe Baumrinde an ihrer Wange an. Der Geruch nasser Ziegen, den sein Körper verströmte, stieg ihr in die Nase. Aus dem Augenwinkel sah Elena den schwarzen Schatten des Wolfs vorbeiflitzen, dicht gefolgt von Nebelbraut.
»Danke, Tol’chuk«, keuchte sie. »Ich hätte mir bestimmt die Knochen gebrochen, wenn du mich nicht aufgefangen hättest. Aber jetzt kann ich wieder selbst laufen.«
»Keine Zeit«, knurrte er, und seine raue Stimme klang wie das Mahlen von Steinen. »Die Spinnen nähern sich uns von beiden Seiten.«
Elena blickte zum Rand des Pfades. Sie hatte sich so sehr auf den Weg nach vorn konzentriert, dass ihr ganz entgangen war, was von den Seiten drohte.
Tausende von Augen starrten sie vom rauchverhangenen Waldrand her an. Ströme von Spinnen ergossen sich in ihre Richtung, aufgewühlt und wogend wie ein einziges Wesen. Der Blasen werfende Boden verzehrte hunderte ihresgleichen, doch hunderte andere benutzten die Körper der Gefallenen als Steg über die glühende Erde. Es war, als ob die gesamte Armee eine einzige Absicht, ein einziges Ziel verfolgte. Zum ersten Mal begriff sie, warum man diesen Geschöpfen den Namen ›die Horde‹ gegeben hatte.
Der Og’er bewegte sich mit weiten Sprüngen der muskulösen Beine voran, doch sein Rücken war vor Erschöpfung gebeugt. Beim Laufen stützte er sich mit den Knöcheln des freien Arms häufig am Boden ab. Halb Tier, halb Mensch, schleppte sich Tol’chuk so schnell wie möglich voran.
Plötzlich hörten sie lautes Hufgetrappel, und schon war Kral mit seinem großen Schlachtross neben ihnen. »Schnell reagiert, alle Achtung, Og’er! Aber ich nehm dir das Mädchen ab.«
Rorschaff, der Hengst des Gebirglers, wirkte kaum ermüdet, sondern tänzelte mit schwarz glänzender Mähne auf den eisenbeschlagenen Hufen, während Kral sich neben dem schwerfällig trottenden
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