Alasea 02 - Das Buch des Sturms
würde, wenn sich beim besten Willen kein anderer Weg erschloss. Und selbst dann würde sie es sich noch sehr gut überlegen.
Er’ril murmelte etwas Unverständliches.
»Was hast du gesagt?« fragte sie, während sie den Handschuh zurechtzog; sie war sich nicht sicher, ob die Worte des Präriemannes ihr gegolten hatten.
Nach einer langen Pause sah er sie mit bekümmerten Augen an. »Du brauchst einen besseren Lehrer«, sagte er. »Ich bin nicht gebildet genug, um dich in den Feinheiten deiner Kunst zu unterweisen und dir die nötigen Kenntnisse an die Hand zu geben, damit du deinen Geist und deine Seele schützen kannst. Durch den willkürlichen Gebrauch deiner Magik kann so viel Unheil geschehen.«
Zum ersten Mal sah Elena die Tiefe seines Schmerzes hinter den versteinerten Zügen und erkannte, dass sie nicht die Einzige war, die litt, wenn sie ihre Kräfte einsetzte. »Ich … ich komme schon zurecht. Du hast mich gut unterrichtet.« Sie lächelte ihn spitzbübisch an. »Und überhaupt, welche Wahl haben wir denn? Wir haben niemanden außer dir.«
Die Worte schienen ihn ein wenig zu besänftigen. »Trotzdem … du musst sehr vorsichtig handeln.«
»Das werde ich«, versprach Elena.
Merik und Ni’lahn schlossen zu ihnen auf. Merik saß tief gebeugt im Sattel; mit einer Faust umklammerte er den Knauf, um einigermaßen Halt zu haben. Seine Stimme war heiser vor Erschöpfung. »Die Feuerschneise hat beinahe den Waldrand erreicht. Wir haben zu viel Zeit vergeudet. Wir müssen uns beeilen, bevor die Horde den verbrannten Korridor, den wir geschaffen haben, wieder einnimmt.«
»Also, dann nichts wie weiter!« sagte Er’ril. »Ni’lahn, bleib du bei Merik und hilf ihm.« Er drehte sich im Sattel zu dem Wagen um und rief: »Mogwied, lass die Peitsche knallen! Wir müssen die Pferde zur Eile antreiben, wenn wir schneller als die Spinnen sein wollen.«
Elena sah, dass das blasse Gesicht des Gestaltwandlers vor Angst verzerrt war, aber Mogwied nickte. Auf ein Schnalzen der Peitsche hin schoss der Wagen nach vorn. Tol’chuk und der Wolf Ferndal sprangen von dem Gefährt und rannten neben ihm her. Elena staunte, dass der riesige Og’er sich mit so großer Geschwindigkeit bewegen konnte.
Er’ril war dem Anschein nach eher wütend als beeindruckt. »Nein, nein, bleibt im Wagen!« brüllte er. »Wir können nicht so langsam werden, dass ihr zu Fuß mit uns Schritt halten könnt.«
Tol’chuk, der neben dem großen Rad des Wagens hersprang, antwortete mit ruhiger und fester Stimme: »Wenn die Pferde weniger Gewicht zu ziehen haben, kommen sie schneller voran. Und wir Og’er sind schnell zu Fuß - zumindest auf kürzeren Strecken. Ich kann bis zum Waldrand laufen. Ihr braucht Ferndals und meinetwegen nicht langsamer zu werden.«
Er’rils Miene drückte Zweifel aus. »Die Spinnen …«
Tol’chuk deutete zum Wegesrand. Gefangen in Eis, waren die blasigen Körper von Spinnen zu sehen, wie rote Einschlüsse in einem Diamanten. »Sie werden uns so bald nicht belästigen.«
Er’ril wirkte zunächst unschlüssig, doch dann rief er Kral zu: »Halte dich am Schluss des Zuges! Gib uns Deckung nach hinten!«
Kral hob salutierend den Arm und lenkte sein Schlachtross hinter die geblähte Plane des Wagens.
Er’ril beugte sich im Sattel nach vorn und straffte die Zügel, um sein Pferd anzutreiben. »Hat deine Stute noch genügend Kraft, um den restlichen Weg in schnellem Galopp zu bewältigen?« fragte er Elena, die hinter ihm ritt.
»Nebelbraut ist ausdauernd und stark …«
»Dann los!« sagte er und gab seinem Hengst die Fersen. »Ich habe den Anblick von Bäumen gründlich satt und sehne mich nach dem Ende dieses Waldes.«
Elena trieb Nebelbraut mit sanften, aufmunternden Worten an. Die Stufe schnaubte lebhaft und warf den Kopf in den Nacken, froh darüber, dass sie rennen durfte. Elena hielt sich dichter hinter Er’rils Pferd, folgte dem breiten Rücken des Präriemannes.
Inzwischen hatten sie fast die Hälfte der Strecke durch die Senke zurückgelegt; die Zweige bildeten ein eisiges Dach über ihnen. In einiger Entfernung waren Merik und Ni’lahn vor ihnen zu sehen. Elena beobachtete, wie sie durch Gehänge aus eisüberzogenen Spinnweben ritten, die den Weg überspannten, und die gefrorenen Gebilde in tausende glitzernde Stücke zerschmetterten. Da sie ihnen rasch folgten, gerieten Elena und Er’ril in ein Gestöber von Spinnwebteilchen, die wie Schneeflocken über dem Weg schwebten. Elena, der es davor
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