Alasea 03 - Das Buch der Rache
wusste, dass Mama Freda durch die Augen und Ohren des Tieres sehen und hören konnte.
»Bitte, darf ich deinen Stein einmal kurz ansehen?« wiederholte sie noch einmal.
»Für dich ist er doch nicht mehr als ein wertloser Schmuckstein«, meinte Tol’chuk leicht verärgert. »Warum willst du ihn unbedingt anschauen?«
Mama Freda stellte sich vor Tol’chuk und hob den Kopf. Das Fehlen der Augen in ihrem Gesicht ließ die Borsten auf dem Rücken des Og’ers erzittern. Tol’chuk richtete den Blick auf ihre wahren Augen auf die des Tamrink. Tikal saß auf Mama Fredas Schulter, seine feuerrote Mähne umrahmte die zwei tiefschwarze Augen. Das Tierchen zwinkerte ihm zu, wobei es den Schwanz fest um den Hals der Frau geschlungen hielt.
»Kekse?« quiekte er Tol’chuk an und steckte den Finger in sein großes Ohr.
»Schschhhh, Tikal«, schimpfte die alte Frau. »Du hast schon gegessen.« Mama Freda richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Tol’chuk. »Ich möchte deinen Stein gern anschauen. Ich rieche etwas Verdorbenes in ihm. Als Heilerin fühle ich mich von ihm angezogen.«
Tol’chuk zögerte zuerst, doch dann gab er ihr den Stein. Vielleicht wusste die alte Frau ein Mittel, um den Stein von dem schwarzen Wurm in seinem Innern zu befreien. Tol’chuk erzählte ihr die Geschichte des Steines und von seinem Zweck, die Geister seines Stammes in die nächste Welt zu führen. »Aber der Stein wurde von einer Kreatur, die der Vernichter genannt wird, verdorben, es ist ein Fluch. Der Wurm hält die Geister meines Volkes in dem Stein gefangen und frisst sie, um sich selbst zu erhalten. Ich habe mich auf diese Reise begeben, um eine Möglichkeit zu finden, diesen Fluch aufzuheben und den Stein vom Vernichter zu erlösen. Bevor ich Elena rettete, haben mir die Geister des Steines immer den Weg gezeigt, mir gesagt, wohin ich gehen soll… aber… aber jetzt…« Tol’chuks Stimme versagte.
Mama Freda hatte sich seine Geschichte schweigend angehört und währenddessen den Stein von allen Seiten begutachtet. Auch Tikal beugte sich von ihrer Schulter herunter, um den Kristall zu beschnüffeln und zu beäugen. »Aber was?« fragte Mama Freda. Offenbar wollte sie, dass er die Geschichte zu Ende erzählte.
»Aber jetzt schweigt der Stein. Er führt mich nicht mehr.«
Sie nickte bekümmert und gab ihm den Stein zurück. »Das ist kein Wunder.«
Er hob den Blick, seine Gesichtszüge wirkten angespannt. »Was meinst du damit?«
Sie klopfte ihm auf den Oberschenkel und sagte nach einer kurzen Pause: »Ich kann nur noch eine Winzigkeit an Lebenskraft in dem Stein spüren. Sie ist sehr schwach. Das Böse dieser Vernichter füllt fast den gesamten Stein aus.« Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf. »Es tut mit Leid, aber… deine Geister sind fast verschwunden.«
»Wie bitte?« Tol’chuk umklammerte den Stein, und sein Herz bebte. Plötzlich fiel es ihm schwer, zu atmen. Zweifelnd hob er de Stein hoch, aber in seinem Herzen wusste er bereits, dass sie Recht hatte. Tief in seinem Innern hatte er es längst gewusst. Das war es gewesen, was ihn die ganze Zeit an Deck gezogen und auf den Stein hatte starren lassen. Durch die Worte der Heilerin war Tol’chuk nun gezwungen zuzugeben, dass die Kraft des Steines während des letzten Mondes immer mehr abgenommen hatte genauer gesagt, seitdem sie die Prüfungen in Schattenbach hatten bestehen müssen. Er konnte es nicht länger leugnen.
Der Vernichter wurde stärker.
Tol’chuk starrte in den Stein. Sein eigener Vater befand sich unter den Geistern, die in dem Kristall gefangen waren. Wenn die alte Frau die Wahrheit sprach, dann wurde Tol’chuks Vater, zusammen mit den anderen Geistern des Og’er Volkes, von dem Wurm langsam aufgefressen.
Mama Freda wandte sich noch einmal mit gequältem Gesicht an ihn, ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Es lag nicht in meiner Absicht, dir so unheilvolle Nachrichten zu überbringen.«
Tikal streckte die kleine Pfote aus und berührte Tol’chuks Wange. »Keks«, meinte das Tierchen traurig. »Armer Keks.« Damit zog Tikal sein Pfötchen zurück und lutschte am Daumen, während er sich dicht an Mama Fredas Hals schmiegte.
Die Heilerin hob einen Arm. Sie wollte Tol’chuk trösten, aber etwas in seinem Gesicht sagte ihr, dass kein Trost seinen Schmerz lindern konnte. »Es tut mir Leid«, sagte sie nur und wandte sich ab.
Tol’chuk blieb an Deck stehen und beugte sich über seinen Stein, der von der Sonne hell angestrahlt wurde. Wenn
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