Alasea 03 - Das Buch der Rache
sehr steif und förmlich. Und selbst ihr Bruder Joach schien mehr an Diskussionen über die Magik seines Stabes interessiert zu sein, als Elenas Schmerz verstehen zu wollen. Nur Tol’chuk und Mama Freda brachten Elena wahre Herzlichkeit entgegen aber beide waren keine echten Familienangehörigen.
Wenn nur Tante Mikela nicht auf ihre eigene Suche gegangen wäre…
Elena hätte den klugen Rat der Frau gut gebrauchen können. Tante Mi wusste immer etwas zu sagen. Zum tausendsten Mal fragte sich Elena, wie es den anderen wohl gehen mochte, Ferndal, Mogwied und Kral. Jetzt, da auch Er’ril nicht mehr da war, hatte sie den Eindruck, dass alles zusammenbrach.
Elena starrte Nebelbraut traurig an.
Das Kratzen von Absätzen auf Holz ließ Elena herumfahren. Hinter dem Gatter zu den Ställen stand ein Mann und sah sie forschend an. Seine Augen glühten im Licht der einzigen Laterne, die einem Pfosten der Box hing. Elena erschauderte und bekam eine Gänsehaut. Es war einer der Zo’ol Piraten, die der Anführer ihrer Gilde für die Bleicher Hengst angeheuert hatte. Der dunkelhäutige Seemann trug nur eine knielange, enge Hose, sein Oberkörper war nackt.
»Kann ich dir helfen?« fragte Elena kurz und abweisend. Sie versuchte, ihre Nervosität zu verbergen. Bis auf die zwei Pferde waren sie allein im Frachtraum.
Ohne Einladung öffnete der Mann das Gatter, schlüpfte in die Box und schloss die Tür wieder hinter sich. Elena hörte das Schloss zuschnappen.
Rasch sprang sie auf die Füße und klopfte sich das Heu von den Knien. Da sie die Macht in beiden Händen erneuert hatte die der einen Hand mithilfe der Sonne, die der anderen durch die Magik des Mondes , brauchte sie sich vor diesem Mann nicht zu fürchten. Sie berührte ihre Magik, und diese gab ihr die Kraft, sich vor dem Eindringling aufzurichten und ihm entgegenzutreten. »B bist du gekommen, um die Streu in den Ställen zu erneuern?« Elena ärgerte sich über ihre brüchige Stimme.
Der Seemann streckte die Hand aus, und Elena trat einen Schritt zurück. Nebelbraut schnaubte laut bei dieser Bewegung.
Elena starrte den Mann an. Die Zo’ol Matrosen verstanden zwar ihre Sprache, doch sie selbst sprachen wenig. Dieser stand nur mit ausgestrecktem Arm da. Der Mann trug den Kopf kahl geschoren bis auf einen Schweif aus schwarzen Haaren, der vom Hinterkopf bis zum Rücken reichte. Azurblaue und rosafarbene Federn schmückten sein Haar. Seine Augen, die vom Laternenlicht beleuchtet wurden, strahlten in einem tiefen Jadegrün. Aber das Auffälligste an ihm war das Muster aus hellen Narben, die kreuz und quer über seine dunkle Stirn verliefen. Jeder der vier schwarzhäutigen Seemänner trug ein anderes Symbol auf der Stirn, die Bedeutung kannten nur die Zo’ol. Das Zeichen dieses Mannes schien die Sonne darzustellen, die über dem Horizont aufging, oder vielleicht auch ein Auge, das sich gerade öffnete. Elena ertappte sich dabei, wie sie hemmungslos auf die Narben starrte.
Eine Bewegung ließ ihren Blick wieder zu dem erhobenen Arm des Mannes wandern. In seiner Hand lag nun ein hellroter Apfel. Elena blinzelte auf die plötzliche Erscheinung. Woher war der Apfel so schnell gekommen?
Der Zo’ol kam mit völlig ausdruckslosem Gesicht auf Elena zu. Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zur Seite, aber er ging an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Der Seemann schritt auf die nervöse Stute zu, auf den Lippen ein seltsames Pfeifen. Nebelbraut scharrte im Heu, bestimmt würde sie jeden Moment ausbrechen. Aber der Mann zauderte nicht, er pfiff nur etwas behutsamer weiter als zuvor. Nebelbraut richtete die Ohren auf und stellte den Kopf leicht schräg, als würde sie der Melodie lauschen.
Bald hatte der Mann die Stute erreicht und bot ihr den Apfel an. Nebelbraut schnüffelte daran, dann zog sie die dicken Lippen hoch, um an der Frucht zu knabbern. Elena konnte kaum glauben, was sie da sah. Niemandem war es bislang gelungen, sich der Stute zu nähern. Elena sah, wie sich die Anspannung im Widerrist des Pferdes löste. Selbst Nebelbrauts Schwanz, der die ganze Zeit über vor und zurück gepeitscht hatte, beruhigte sich zu einem zufriedenen Wedeln.
Der Seemann streichelte und tätschelte die Stute nun zwischen den Augen. Das war schon immer Nebelbrauts Lieblingsstelle gewesen, an der sie gekratzt werden wollte.
Der Mann nickte Elena auffordernd zu. Sie zögerte, nicht weil sie vor dem Mann Angst gehabt hätte, sondern aus Sorge, sie könnte Nebelbraut
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