Alasea 03 - Das Buch der Rache
versammelt! Aber das wahre Wunder befand sich zwischen den Schiffen und teilte sich mit ihnen das Wasser. Zwischen den vielen Booten schwammen Drachen durch die Wellen, als hätte man unzählige Juwelen ins blaue Meer gestreut. In der Ferne erkannte Kast sogar einige höckerige Rücken von riesigen Leviathanen, die sich wie lebende Inseln aus dem Meer erhoben.
»Wir sind nur zwei Tage vom Kalmengürtel entfernt«, erklärte Saag wan sanft. »Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig zu dem Treffen mit der Hexe.«
»Du hast es geschafft«, erwiderte Kast leise, der noch immer auf das unglaubliche Bild starrte, das sich ihm bot. »Du hast unsere Völker zusammengeführt. Alle De’rendi. Alle Mer’ai.«
Saag wan schmiegte sich an seine Schulter und zog die Decke um sie beide. Sie drückte sich fest an ihn und teilte ihre Wärme mit ihm. »Ja, aber am meisten freue ich mich darüber, dass ich einen ganz bestimmten De’rendi und eine ganz bestimmte Mer’ai wieder zusammengeführt habe.«
Kast grinste sie an, als sie zu ihm aufschaute. Ihre beiden lachenden Münder wurden ernst, da sie die Leidenschaft in den Augen des anderen entdeckten. Er beugte den Kopf zu ihr hinunter und berührte ihre Lippen mit den seinen. »Ich brauche dich«, murmelte er, und dann küsste er sie stürmisch.
VIERTES BUCH
Das Sargassum
17
Elena kniete im Heu. Im Halbdunkel des Frachtraumes wirkte die graue Stute eher wie ein Geist und nicht wie ein echtes Pferd. Auch nach sechs Tagen auf See war das Ross immer noch schreckhaft und scheute vor jedem zurück. Elena hielt ihm ein Stück Apfel hin. »Komm her, Nebelbraut. Gutes Mädchen«, forderte sie die Stute mit einem sanften Flüstern auf. Aber das Pferd weigerte sich, auch nur einen Schritt näher zu kommen. Nicht einmal zu Elena hatte es Vertrauen.
Elena sank ins Heu. Sie wusste, warum Nebelbraut vor ihr zurückscheute. Sie war einen Kopf größer geworden und hatte weiblichere Formen. Sie war nicht mehr das Mädchen, das die Stute von klein auf gefüttert und gestriegelt hatte. Die plötzliche Veränderung in Elenas Erscheinungsbild und die Fremdheit des Schiffes machten das kleine Pferd nervös und unsicher. Die Stute geriet in Panik, wann immer Elena sich näherte, und weigerte sich sogar, ihren Geruch zu erkennen.
In der benachbarten Box schnaubte Er’rils Pferd, der weiß gesprenkelte Steppenhengst, und scharrte im Heu. Da dieses Tier einer zäheren Rasse entstammte, hatte es sich schnell an das Stampfen und Schlingern des Schiffes gewöhnt. Und das große Ross wusste genau, dass alle Äpfel, die Nebelbraut ablehnte, in seinem Futtereimer landeten. Der Hengst war also stets froh darüber, dass Elena bei der Stute keinen Erfolg hatte.
»Ich habe genug für euch beide«, rief Elena traurig zu dem anderen Pferd hinüber. Schon ihre Stimme ließ Nebelbraut einen Schritt zurückweichen. Elena seufzte. Den sechsten Morgen hintereinander war es ihr nicht gelungen, die Stute dazu zu überreden, zu ihr zu kommen. Sie verstand das Unbehagen des Pferd zwar, aber es machte sie traurig. Nebelbraut war schließlich ein Mitglied ihrer Familie, und wenn sie sich so abweisend gab, verletzte das Elena tief. Die Stute war immer da gewesen, wenn Elena traurig gewesen war und Trost gebraucht hatte.
Mehr denn je hätte Elena gerade jetzt diese Aufmunterung gebraucht. Sie hatte Er’ril verloren, und der Kummer darüber war noch immer so frisch wie an dem Tag, als sie an Bord des Schiffes aufgewacht war. Es war ein dumpfer Schmerz in ihrem Herzen der die Sonne verdunkelte und das Essen geschmacklos und wenig verlockend erscheinen ließ. Die anderen versuchten, ihr zu helfen, doch keiner von ihnen konnte sie wirklich verstehen. Kein Wort konnte diesen Schmerz lindern. Die anderen hatten Er’ril nur für ihren Wächter gehalten, für einen Ritter, der mehr Schwert als Mensch war. Sie dachten, sie hätte lediglich eine Waffe verloren und nicht einen Menschen, mit dem sie ihr Herz teilte.
Auch waren die anderen zu beschäftigt mit ihren eigenen Sorgen, um wirklich Mitgefühl zu zeigen. Flint hatte alle Hände voll zu tun, das Schiff zu führen und die Matrosen, die dunkelhäutigen Zo’ol Krieger, zu dirigieren. Merik war zwar nicht so beschäftigt, aber von dem plötzlichen Auftauchen des Sonnenfalken seiner Königin sehr abgelenkt. Die Augen hielt er unablässig auf den Horizont gerichtet, und wenn es Elena zufällig einmal gelang, seine Aufmerksamkeit zu erringen, verhielt er sich ihr gegenüber
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