Alasea 03 - Das Buch der Rache
Blätter. Einige erkannte sie: Bergeiche, Norderle, Westahorn. Diese Bäume wuchsen hier in der Gegend nirgends. Sie ließ die merkwürdigen Blätter aus den Fingern rieseln.
Neben ihr wühlte Ferndals Nase durch die Blätter und brachte etwas aus dem Herzen des kleinen Hügels zum Vorschein. Der Wolf rollte das Ding mit der Schnauze auf die Straße. Während er es mit schiefem Kopf anstarrte, entfuhr seiner Kehle ein jämmerliches Jaulen.
»Was ist das?« fragte Mikela und bückte sich, um Ferndals Entdeckung zu begutachten. Sie konnte jedoch nicht ergründen, was den Wolf so aufbrachte. Es war nichts weiter als eine einfache fingerdicke Nuss, die sich von den vielen anderen Nüssen, die man für gewöhnlich im Wald fand, nicht sonderlich unterschied. Lediglich der winzige grüne Trieb, der aus der Frucht herauswuchs, stellte eine Besonderheit dar.
Ferndal nahm den Schatz vorsichtig zwischen die Zähne und hielt ihn Mikela hin. Sie öffnete die Handfläche und nahm ihn entgegen. Anschließend stieß der Wolf mit der Schnauze an ihre Tasche, um anzudeuten, dass sie die Nuss dort sicher verwahren sollte.
Verblüfft durch sein seltsames Benehmen, tat Mikela, wie ihr geheißen wurde, und mit einem letzten Stirnrunzeln stieg sie schließlich wieder aufs Pferd. Sie trieb den Wallach an und setzte die Reise fort, doch sie wunderte sich noch einige Zeit über diesen Anflug von Magik. Sie hatte nichts Böses in der Erscheinung gespürt, keine Spur von schwarzer Magik. Was hatte das zu bedeuten? Sie schüttelte den Kopf und verwarf diese Gedanken einstweilen. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen und eigentlich keine Zeit, noch länger über dieses seltsame Vorkommnis nachzugrübeln. Also setzte sie ihren Weg zu dem kleinen Dörfchen Graumarschen fort, und Ferndal folgte ihr gefügig. Mikela fiel jedoch auf, dass der Wolf noch mehrere Male zurückblickte zu der Stelle, an der der Sänger gestanden hatte.
Sie runzelte die Stirn über das Benehmen des Wolfes, klopfte auf ihre Tasche und fühlte die harte, feste Nuss darin. Was war so bedeutend an dieser eigentlich doch gewöhnlichen Eichel?
Der sechste Drak’il glitt aus der Brandung und krabbelte über den noch warmen Sand des mitternächtlichen Strandes. Die Sonne war schon lange untergegangen, also konnte niemand beobachten, wie der letzte Drak’il zu den fünf anderen stieß, die auf dem schmalen Streifen zwischen Meer und Klippen bereits auf ihn warteten. Er stellte sich auf seine krallenbewehrten Füße und richtete sich in voller Größe auf. Die Drak’il waren ein wenig größer als ihre Koboldbrüder, und anders als ihre entfernten Verwandten aus dem Untergrund lebten sie in den Meereshöhlen der abgelegenen Inseln des Archipels. Obwohl sie über eine gewisse Intelligenz verfügten, hatten die Drak’il nur selten mit anderen Lebewesen zu tun, sie zogen die Abgeschiedenheit vor.
Nur die Not rechtfertigte diese Reise zur Küste Not und alte Koboldschwüre. Die Nachricht von einer Hexe, die hunderte von Felskobolden ihre Bergbrüder umgebracht hatte und sich irgendwo hier an der Küste versteckt hielt, hatte die Drak’il erreicht. Die Hexe hatte das hungrige Licht gebracht, den Dieb des Geistes. Sie musste gesteinigt werden und geblendet, so verlangten es die alten Bräuche, und die Magik der Hexe musste zur Königin zurückgebracht werden. Es war die Pflicht der Drak’il, Rache zu üben für all die anderen Koboldrudel.
Die Ehre der Drak’il, das Blut der Kobolde, musste gerächt werden.
So sollte es geschehen.
Der sechste Drak’il gesellte sich zu den anderen, sein Schwanz zuckte und schlängelte sich um seine Knöchel; an diesen fremden Ufern waren sie alle etwas beunruhigt. Er begrüßte das führende Weibchen des Rudels, indem er mit seiner gespaltenen Zunge den giftigen Stachel an der Spitze ihres Schwanzes berührte und gebückt stehen blieb. Nur die weiblichen Drak’il trugen den giftigen Rhist am Schwanz, den Haitöter, den Überbringer des brennenden Todes. Die anderen Männchen standen bereits demutsvoll vor der Anführerin und warteten auf ihre Befehle.
Das Weibchen, größer und muskulöser gebaut als die Männchen, stieß die Anweisungen knurrend und brummend heraus. Ihre Fangzähne leuchteten im Mondlicht, und in den roten Augen glühte das Feuer des Hasses. Die Männchen erzitterten bei ihren Worten. Keiner von ihnen wagte es, einer der Herrinnen zu widersprechen.
Als die Drak’il ihre Befehle bekommen hatten, liefen sie zu den
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