Alasea 03 - Das Buch der Rache
dieses Ding nicht offen herumtragen«, mahnte sie ihn mit einem Nicken. »Das bringt Unglück.«
Joach versteckte den Stab hinter seinem Rücken. »Aber es ist eine Siegestrophäe aus dem Kampf mit dem Dunkelmagiker Greschym. Wie kann das Unglück bringen?«
»Es bringt einfach Unglück.« Mit einem bösen Seitenblick wandte sie sich ab und ging zu ihrem Pferd, einem scheckigen Wallach mit unruhigen Augen.
Ihr Gefährte für die bevorstehende Reise hatte sich in gehörigem Abstand zu dem Pferd niedergelassen, um das Tier mit seinem Wolfsgeruch nicht scheu zu machen. Dennoch tänzelte der Schecke leicht zur Seite, als Mikela zu ihm kam; in der Nähe des großen Baumwolfes fühlte er sich sichtlich unwohl. Mikela zog die Zügel stramm. »Das reicht jetzt. Beruhige dich.« Da Ferndal mit ihnen kommen würde, musste sich das Pferd zwangsläufig an die Gegenwart des Wolfes gewöhnen.
Ferndal stand auf und streckte sich, womit er der Gefährtin eindeutig zu verstehen gab, dass er zum Aufbruch bereit war. Eine gewisse Belustigung blitzte aus seinen bernsteinfarbenen Augen mit den schlitzförmigen Pupillen, welche seine wahre Herkunft aus dem Volk der Gestaltwandler enthüllten. Während Mikela freiwillig zum Mensch geworden war und damit ihrem Geburtsrecht für immer entsagt hatte, war Ferndal dieser Wahl beraubt worden. Es war ein Fluch, der Ferndal in seiner gegenwärtigen Gestalt und seinen Zwillingsbruder Mogwied in dessen Menschengestalt gefangen hielt. Sie waren ausgezogen aus den Wäldern der Westlichen Marken, um nach einer Erlösung von ihrem Leid zu suchen, und dabei auf die Hexe gestoßen, die auf dem Weg nach A’loatal war.
Es schien, als würden alle aus verschiedenen Gründen von der versunkenen Stadt angezogen werden.
Mikela stieg in den Sattel und wandte sich den Gefährten noch ein letztes Mal zu. »Wenn alles gut geht, werde ich noch vor Neumond zurück sein. Wenn nicht…« Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich der Straße zu. Es gab keinen Grund, den Satz zu Ende zu sprechen. Wenn sie innerhalb von sechs Tagen nicht zurück war, dann hatte man sie entweder gefangen genommen oder getötet.
»Sei vorsichtig, Tante Mi!« rief Elena hinter ihr her.
Mikela hob eine Hand zum Gruß. Dann schnalzte sie mit der Zunge und lenkte den Wallach die Küstenstraße hinunter. Der Wolf trottete in einiger Entfernung neben ihnen her, schlich durch das Weidegras, verborgen wie ein Hai im grünen Meer. Mikela blickte nicht mehr zurück.
Bald passierten Pferd und Wolf einen hohen Felsen, und die Kate war außer Sicht. Mikela entspannte die Schultern. Die Straße war ihr eigentliches Zuhause. Da der Wolf weit weg von ihr vor sich hin trottete, stellte sie sich vor, sie wäre allein. Die längste Zeit ihres Lebens war sie durch die Länder Alaseas gereist, um nach den wenigen Menschen zu suchen, die ein Talent für elementare Magik besaßen. Es war ein hartes, einsames Leben, aber sie hatte sich damit abgefunden. Schwert und Pferd genügten ihr als Gesellschaft.
Sie stellte ihre Sorgen hintan und ließ sich von der wogenden Gangart des Pferdes einlullen, so gewöhnte sie sich wieder an das Leben unterwegs. Die von Karrenrädern zerfurchte Straße schlängelte sich durch Zypressen und Kiefernhaine. Gelegentlich schreckte eine Herde Rotwild neben der Straße auf und flüchtete. Doch ansonsten war die Straße einsam.
Ihr Plan sah vor, dass sie noch vor Einbruch der Dunkelheit das kleine Dorf namens Graumarschen erreichte. Von dort war es nur noch eine Tagesreise nach Port Raul.
Der Tag entpuppte sich als ereignislos und blieb ohne Zwischenfälle. Die Straßen waren leer, und der Nachmittag wurde angenehmer, da nach der Mittagshitze eine leichte Brise einsetzte. Schnell wanderte die Sonne auf den Horizont zu, und wenn ihre Karte stimmte, dann lag das Dörfchen Graumarschen nur noch ein oder zwei Wegstunden entfernt. Mikela war gut vorangekommen an diesem Tag.
Um sie herum wurde der Wald auf der Steilküste immer dichter, und die Hügel flachten leicht ab. Plötzlich hörte sie das leise Knurren des Wolfes links von sich. Ferndal kam zurück zur Straße gelaufen, und Mikela zügelte das Pferd. Der si’lurische Wolf konnte zur Seele anderer Gestaltwandler durch Blicke sprechen, aber da Mikela sich für die Menschengestalt entschieden hatte, vermochte sie sich mit ihm nicht mehr in dieser Form zu unterhalten. Der einzige Mensch, der ihres Wissens nach die Sprache der Si’lura sprach, war Elena eine weitere Gabe,
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