Alasea 03 - Das Buch der Rache
Studenten, als Historiker heiße ich Sie erneut willkommen zu dieser
Reihe von Übersetzungen und bitte Sie, sich ein wenig Zeit zu nehmen für einige Anmerkungen, die ich zu meiner Arbeit und zu den Gerüchten, die diese umkreisen, gern machen möchte.
Wie allseits bekannt, gingen die Originalschriften schon vor Urzeiten verloren. Die fast zerfallenen handschriftlichen Kopien, die vor über fünf Jahrhunderten in den Höhlen der Insel Kell gefunden wurden, sind alles, was von der alten Erzählung übrig ist. Da die Sprache seit über einem Jahrtausend tot ist, haben sich bereits hunderte von Historikern und Sprachwissenschaftlern an der Rekonstruktion und Übersetzung dieser Kelvish Schriften versucht. Unter meiner Aufsicht ist nun einer Gruppe von herausragenden Kollegen an der Universität Da’Borau das Unmögliche gelungen: nämlich die vollständige und wahrheitsgetreue Übersetzung der Geschichte der Elena Morin’stal.
Mein Lebenswerk befindet sich in Ihren Händen. Und ich möchte hiermit erklären, dass ich der Meinung bin, dass meine Übersetzungen aufgrund ihres Inhalts beurteilt werden sollten.
Trotz der Einwände von meiner Seite wurde mein geschätzter Kollege Jir’rob Sordun damit betraut, die Vorworte zu den ersten beiden Büchern zu verfassen, um die Leser vor dem hinterhältigen Wesen des ursprünglichen Verfassers der Schriften zu warnen.
Aber waren diese düsteren Warnungen wirklich notwendig? So sehr ich Professor Sordun auch schätze, ich glaube, dass die alten Geschichten über Alaseas schwarzes Zeitalten keine Ausschmückung oder übertriebene Einführung nötig haben. Obschon jenes Zeitalter unseres Landes in Rätsel gehüllt und von widersprüchlichen Interpretationen verschleiert ist, weiß doch jeder, der über einen gesunden Verstand verfügt, dass die Geschichten nur die verqueren Erfindungen eines längst verstorbenen Verrückten sind. Brauchen wir wirklich einen Sordun, der uns das noch einmal ausdrücklich erklärt?
Lassen Sie uns einen Blick auf die Tatsachen werfen.
Was wissen wir wirklich über dieses schwarze Zeitalter? Wir wissen, dass Elena wirklich gelebt hat; es gibt ausreichend Zeugnisse aus der fraglichen Zeit, sodass ihre Existenz nicht geleugnet werden kann. Die Rolle, die sie während des Aufstandes gegen die Gul’gotha spielte, ist allerdings von wunderlichen Geschichten umrankt. Sie war bestimmt keine Hexe. Ihre Hand wies kein Mal der Blutmagik auf. Einige Scharlatane hatten vermutlich die Hand des Mädchens einfach blutrot bemalt und sie dann als gesalbte Retterin herumgereicht, um damit die einfachen Dorfleute um ihre schwer verdienten Kupferstücke zu bringen. Unter diesen Gaunern befand sich offenbar auch ein Schreiber mit einigem Talent, der diese wilden Geschichten verfasste, um das Ansehen der falschen Retterin zu erhöhen. Ich könnte mir vorstellen, dass er die einfachen Bauern mit seinen Erfindungen durchaus verzückte, welche er als wahre Begebenheiten ausgab; und so wurde die Sage der Hexe begründet.
Ich kann mir die zahnlückigen Bauern gut vorstellen, wie sie mit weit aufgerissenen Mündern den Märchen von Hochland Og’ern, Waldnymphen, Bergnomaden und silberhaarigen Elv’en lauschten. Ich sehe es förmlich vor mir, wie es ihnen den Atem verschlug, wenn Elena ihre Magik aus Feuer und Eis vorführte. In unserer aufgeklärten alaseanischen Gesellschaft kann man jedoch sicherlich davon absehen, die Leser so eindringlich vor etwas so Harmlosem wie erfundenen Geschichten zu warnen.
Doch an dieser Stelle muss ich nun auch ein Geständnis ablegen. Im Laufe der Übersetzung dieser Schriften fing ich an, die Geschichten fast selbst zu glauben. Wer würde es nicht gern sehen, wenn ein junges Mädchen aus einem entlegenen Obstgarten am Ende die Welt verändern könnte? Und angesichts dessen, was sie am Ende vollbrachte, wie es der Autor zumindest behauptete wer würde da nicht gern an eine wahre Begebenheit glauben?
Aber da ich ein Gelehrter bin, weiß ich es natürlich besser. Der Lauf der Natur ist unveränderlich und bei dem Ende der Geschichte, das uns der Verfasser anbietet, handelt es sich ganz offensichtlich um eine Unwahrheit, die unserer Gesellschaft nur Schaden zufügen kann. Aus diesem Grund bin ich schließlich doch zu der Erkenntnis gelangt, dass meine Übersetzungen wirklich verboten und nur für die wenigen Aufgeklärten aufbewahrt werden sollten, die sich von der darin enthaltenen Botschaft nicht irreführen lassen.
Trotz der
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