Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
bestimmen.«
Mehrere der Anwesenden nickten zustimmend.
Elena stand schweigend da und ließ den Mann ausreden. Die feinen Hexenfeuerfäden zogen feurige Spuren über ihren Arm, verzweigten sich immer weiter und krochen über ihren Busen bis hinunter zur Schärpe ihres Kleides.
»Alle müssen sich einig sein, welchen Weg wir von nun an gehen«, fuhr Symon Feraoud fort, bestärkt durch die stillschweigende Zustimmung aller am Tisch Sitzenden. »Und die Beratungen haben gerade erst angefangen. Man kann doch nicht in einer einzigen Nacht entscheiden, wie man der gul’gothanischen Bedrohung zu begegnen gedenkt.«
»In einer einzigen Nacht?« Elena ließ den Arm ein wenig sinken, stieg von ihrem Podest herunter und stellte sich an das Kopfende des Tisches. »Seit den Siegesfeiern sind dreißig Nächte vergangen. Und eure so genannten Beratungen haben bislang nicht mehr bewirkt, als Keile zwischen uns zu treiben, Zwietracht zu säen und Unruhe zu stiften, wo doch Einigkeit so nötig wäre wie nie zuvor.«
Symon wollte widersprechen, aber Elena sah ihn so drohend an, dass er den Mund langsam wieder schloss.
»Heute Abend ist Vollmond«, fuhr Elena fort. »Das Buch des Blutes wird sich wieder öffnen. Ich nehme eure Ratschläge mit und befrage das Buch dazu. Morgen früh lege ich euch dann den endgültigen Plan vor.«
Meister Edyll räusperte sich. »Zur Beratung?«
Elena schüttelte den Kopf. »Zur Genehmigung.«
Wieder senkte sich Schweigen über die Versammlung, doch der Schrecken hatte sich gelegt. Jetzt braute sich ein Sturm zusammen und den wartete Elena gar nicht erst ab.
Bevor sich der erste Protest vernehmen ließ, streckte sie die glühende Faust über den Tisch. »Ich dulde keine weitere Diskussion. Morgen bei Tagesanbruch fällt meine Entscheidung.« Sie öffnete die Faust; aus ihren Fingern flackerten Flämmchen. Dann legte sie die Hand auf die Tischplatte und brannte ihren Abdruck in das Eisenholz. Rauchfäden ringelten sich an ihrem Handgelenk empor. Auf den Arm gestützt, sah sie alle Anwesenden der Reihe nach an. Die Flammen züngelten zwischen ihren Fingern hervor. »Morgen schmieden wir unsere Zukunft. Eine Zukunft, in der wir das Schwarze Herz ausbrennen werden aus diesem Land.«
Elena hob die Hand von der Tischplatte. Der Abdruck hatte sich tief in das Eisenholz hineingebrannt und glühte rot. Sie trat zurück. »Wer damit nicht einverstanden ist, sollte A’loatal verlassen, bevor die Sonne aufgeht. Denn wer danach noch auf dieser Insel ist und meine Entscheidung nicht mitträgt, wird den Sonnenuntergang nicht mehr erleben.«
Fast alle machten finstere Gesichter, nur auf den harten Zügen des Großkielmeisters der De’rendi lag ein zufriedenes Lächeln, und das Antlitz der Elv’en Königin Tratal war von eisiger Gleichgültigkeit.
»Es ist an der Zeit, nicht mehr hundert verschiedene Interessen zu verfolgen, sondern eins zu werden«, erklärte Elena. »Morgen wird Alasea auf dieser Insel wiedererstehen. Es wird eines Geistes sein und eines Herzens. Deshalb fordere ich euch alle auf: Geht in euch in dieser Nacht. Entscheidet euch. Steht zu uns oder zieht ab. Das ist alles, was es jetzt noch zu beraten gibt.«
Elena sah in die Gesichter, achtete aber darauf, dass ihre eigenen Züge so kalt und hart blieben wie ihre Worte. Endlich verneigte sie sich leicht. »Wir haben alle viel zu bedenken, deshalb wünsche ich euch eine gute Nacht und überlasse es euch, an geeigneter Stelle Rat einzuholen.«
Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und wandte dem Tisch den Rücken zu. Der Handabdruck schwelte immer noch und erinnerte alle Anwesenden daran, wer sie war und welche Macht sie besaß. Hoffentlich hatte diese Demonstration genügt. Sie ging um den Rosenthron herum. Der Saum ihres Gewandes schleifte mit leisem Rascheln über den binsenbestreuten Steinboden. Die Stille war so bedrückend, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die Blicke der Ratsmitglieder brannten ihr im Nacken wie die Hitze eines lodernden Kaminfeuers. Sie zwang sich, betont langsam und ohne jede Hast auf Er’ril zuzugehen.
Der Schwertkämpfer stand nach wie vor stocksteif und äußerlich ungerührt neben dem Thron. Nur seine grauen Augen folgten Elena. Er verzog keine Miene, doch aus seinem Blick strahlte unbändiger Stolz. Elena tat so, als sähe sie es nicht, und schritt an dem Präriemann vorbei auf den Seiteneingang zu.
Er’ril eilte voraus und hielt ihr die schwere Tür auf.
Sobald sie die Schwelle überschritten hatten,
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