Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Phantomhand. Geisterhafte Finger streckten sich nach dem Stab aus und umfassten ihn. Joach zitterten die Knie. Dennoch zog er über die Blutbahnen, die ihn mit dem Stab verbanden, weitere Traumenergien an sich. Von seiner Aufmerksamkeit genährt, verfestigte sich die Geisterhand allmählich. Die Geisterfinger wurden zu Fleisch und Blut. Bald konnte Joach die Körnung des Holzes und die scharfen Kanten der Kristalle spüren.
Er hob den Stab und hielt ihn vor sein Gesicht. Durch die Hand, die er mit seiner Traum Magik beschworen hatte, floss Blut in das Holz.
Der Traum war tatsächlich Wirklichkeit geworden!
Die Macht ließ ihn erbeben. Die dunkle Magik und die Traumenergien waren nun verschmolzen, und er konnte darüber verfügen! Ein Mädchen mit Augen so blau wie die Nacht erschien vor seinem inneren Auge, und ein lautloser Racheschwur kam über seine Lippen. Er würde Greschym finden, und dann sollte er für den Diebstahl bezahlen. Alle sollten sie bezahlen für das, was Joach im Sand verloren hatte.
Er senkte den Stab, zog sich den Handschuh über die blutende Hand und griff abermals zu. Doch nun war die Verbindung zwischen ihm und dem Holz unterbrochen. Das Blut floss ab, und der weiße Stab wurde wieder grau. Fürs Erste brauchte niemand von seiner neuen Blutwaffe zu erfahren.
Er hob den rechten Arm und starrte die Hand an, die er aus den Elementarenergien geschaffen hatte. Auch sie durfte zunächst noch keiner sehen. Sie würde zu viele Fragen aufwerfen … und außerdem entzog sie ihm kostbare Energien. Er schwenkte den Arm und löste die Verbindung. Die Hand erlosch wie eine Kerzenflamme und zog sich auf die Traumebene zurück.
Auf seinen Stab gestützt, verließ Joach die Höhle.
Irgendwann würde er sein Geheimnis offenbaren. Doch vorerst wollte er es in seinem gebrochenen Herzen bewahren, zusammen mit der Erinnerung an ein Mädchen mit goldenem Haar und unendlich weichen Lippen.
In ihrem Zimmer angekommen, setzte sich Elena auf einen Stuhl, der am Feuer stand. Die anderen nahmen ebenfalls Platz oder stellten sich neben den Kamin. Drei Diener reichten Becher mit Kaffee herum und stellten Platten mit warmen Haferkeksen, Apfelscheiben, Käse und würzigen Fleischhappen bereit.
Er’ril bezog dicht hinter Elena Posten. Seine Hand umfasste die Stuhllehne, sodass Elena sie mit der Wange hätte berühren können, wenn sie den Kopf gedreht hätte. Doch dies war nicht der richtige Augenblick, um sich anzulehnen. Elena saß steif aufgerichtet, die behandschuhten Hände im Schoß gefaltet, und ließ sich nicht anmerken, wie erschüttert sie war. Nur ein Mond noch …
Harlekin Qual wartete am Feuer und starrte in die Glut, als läse er in den Kohlen. Solange die Diener noch im Raum waren, spielte er mit einem Silberglöckchen an seinem Wams.
Nach seiner Erklärung war im Saal ein Aufruhr losgebrochen, der es unmöglich gemacht hatte, die Beratungen fortzusetzen. Alle hatten sich ereifert und lauthals durcheinander gerufen. Der Schock war so groß gewesen, dass keine vernünftige Diskussion mehr zustande gekommen war.
Der Alarm hatte schließlich für Ablenkung gesorgt. Wenig später war gemeldet worden, ein Elv’en Schiff sei bei der Rückkehr von einem Erkundungsflug ins Meer gestürzt. Daraufhin hatte Elena die Sitzung vertagt.
»Wo ist Merik?« raunte ihr Er’ril ins Ohr.
»Er kommt sicher gleich«, antwortete Elena.
Tatsächlich wurde in diesem Moment an die Tür geklopft. Ein Diener, der gerade gehen wollte, öffnete dem Elv’en Prinzen. Merik trat ein, verneigte sich und musterte die Anwesenden mit raschem Blick.
Der Großkielmeister der Blutreiter saß Elena gegenüber. Das schwarze Haar mit den vielen grauen Strähnen hing ihm zu einem langen Zopf geflochten über die Schulter. Neben ihm stand hoch aufgerichtet sein Sohn Hant. Seine Meerfalken Tätowierung schien im Schein des Feuers förmlich zu leuchten.
Der dritte Stuhl stand näher am Kamin. Auf ihm saß, schlank und weißhaarig, Meister Edyll von den Mer’ai. Der Älteste hielt einen dampfenden Becher zwischen den Fingern mit den Schwimmhäuten.
Merik nickte den beiden Anführern zu, dann richtete sich sein Blick kurz auf den bunt gekleideten Fremden, der neben Meister Tyrus stand.
Eine Augenbraue hochgezogen, wandte er sich schließlich an Elena. »Ich bedauere, dass ich nicht früher kommen konnte«, sagte er steif und förmlich. »Aber es hat eine Weile gedauert, im Hafen alles Nötige zu veranlassen.«
Elena nickte. »Was ist
Weitere Kostenlose Bücher