Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
tüchtig. Aber im Grunde seines Herzens wusste er, dass sie wenig Aussicht hatten, Hant und die anderen zu finden. Der Sohn des Großkielmeisters kannte das Insellabyrinth des Archipels besser als jeder andere. Sie würden sich im Nebel verstecken, und bevor der Mond unterging, hätten sie sich, notfalls mit Gewalt, bereits ein neues Schiff beschafft, und der kleine Wellenjäger läge auf dem Meeresgrund. Morgen wären sie schon unerreichbar.
Dennoch gab Kast sich nicht geschlagen. Es galt jetzt, in größeren Zusammenhängen zu denken. Von Saag wan wusste er, was die Besessenen vorhatten: Sie wollten mehr Eier beschaffen und sie auf die Schiffe der Kriegsflotte schmuggeln.
Dieses Wissen gab ihm Macht. Anstatt mit sinnlosen Verfolgungsjagden Energien zu vergeuden, beschloss er, den Besessenen eine Falle zu stellen und sie dort, wo sie hinwollten, gebührend zu empfangen.
Er wandte sich an Paran. »Schick dem Befehlshaber der Elv’en noch eine Nachricht. Ich brauche bis zum Morgengrauen ein flugklares Schiff.«
»Willst auch du die Verfolgung aufnehmen?«
»Nein. Ich übergebe hiermit dir das Kommando über die Insel und ihre Verteidigungsanlagen. Die Flotte muss von diesem Verrat und der möglichen Gefahr in Kenntnis gesetzt werden. Nachdem es Xin heute Nacht nicht gelungen ist, Tyrus zu erreichen, haben wir zu niemandem mehr Verbindung. Die Botenkrähen sind nicht zuverlässig genug, ich kann ihnen eine Nachricht von dieser Bedeutung nicht anvertrauen. Deshalb werde ich selbst mit einem Elv’en Schiff zur Flotte fliegen und dafür sorgen, dass man auf die Besessenen vorbereitet ist.«
Der andere erschrak sichtlich. »Und A’loatal …?«
»Du genießt mein volles Vertrauen, Paran. Du kannst die Mauern auch ohne mich verteidigen.«
»Aber …?«
Kast klopfte dem Mer’ai auf die Schulter, obwohl er ihn eigentlich kaum noch wahrnahm. Im Geiste war er bereits weit weg von A’loatal und seinen Mauern. Er war sicher, dass hier nicht mehr mit einem Angriff zu rechnen war. Der große Kampf war über A’loatal hinweggegangen und bewegte sich nun nach Norden, auf Schwarzhall zu.
»Sie haben hier nur zugeschlagen, weil sie Ragnar’k fürchten«, murmelte er und sah wieder den irren Hass in Saag wans Augen. »Ich werde sie noch lehren, was Angst wirklich heißt.«
Paran trat einen Schritt zurück und verneigte sich. »Ich gebe dem Befehlshaber sofort Bescheid.«
Kast öffnete langsam die Faust. Sein Blick wanderte über die grauenvolle Szene und blieb am bleichen Gesicht des jungen Talan hängen. Um den Körper bildete sich eine Blutlache. Kast rief sich das Lachen des Jungen in Erinnerung, sein strahlendes Lächeln, seinen Stolz, die schlichte Liebe zu seinem Jadedrachen. Irgendwo da draußen im Meer brüllte ein einsamer Drache vor Trauer. Kast konnte seinen Schmerz, sein Leid nur allzu gut verstehen.
Sein Blick trübte sich, er wandte sich ab und rieb sich die Augen. Es gab nur eine Antwort auf dieses Blutbad: Man musste sicherstellen, dass es sich niemals wiederholte.
Er schritt den Gang hinunter. Der Morgen konnte gar nicht schnell genug kommen.
Tyrus trat zwischen die versteinerten Zwerge. Im Osten verblassten bereits die Sterne im Licht des neuen Tages. In dieser eigenartigen Stunde zwischen Nacht und Tag war alles wie mit Silber übergössen. Das Zwergenheer schien nur darauf zu warten, vom ersten Sonnenstrahl aus seinem unnatürlichen Schlummer geweckt zu werden.
Langsam wanderte er die Reihen entlang und spürte, wie ihm die Granitaugen der Soldaten folgten. Er wusste ja, wie es war, wenn sich ringsum die Welt verhärtete und einen gefangen nahm. Reihe um Reihe ging er ab, Rang um Rang: Fußsoldaten, Axtschwinger, Offiziere, Hauptleute.
Irgendwo in der unübersehbaren Schar, irgendwo in diesem Tal oder auf dem Höhenzug dahinter musste Wennar, der Oberbefehlshaber stehen. Nach ihm suchte Tyrus, um ihm Trost zuzusprechen und ihm zu geloben, dass der Krieg der Zwerge gegen ihren Sklavenhalter nicht auf diesem gottverlassenen Feld voller Granitstatuen enden würde.
»Ich wusste es nicht«, sagte eine Stimme leise hinter ihm.
Tyrus schloss die Augen. Er hatte noch nicht die Kraft zur Vergebung gefunden.
»Als ich zum letzten Mal von den Zwergen hörte«, fuhr der Stein Magus fort, »waren sie dem Herrn der Dunklen Mächte hörig, sie waren seine Arme und Beine in unserem Land. Ich wollte uns nur schützen.«
Tyrus wandte sich um und schaute in das verwitterte Antlitz. »Wenn die Geschichten,
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