Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
schon auf das Wiedersehen mit Tol chuk und den anderen«, murmelte Elena.
Er’ril hörte das leise Bedauern in ihrer Stimme und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel. Die letzten Tage auf der Windfee waren ruhig und erholsam gewesen: keine Gefahren, keine Monster, keine dunkle Magik, nur Sonne, Wind und Himmel. Lediglich unten auf der Erde waren deutlich die Spuren des Krieges zu sehen gewesen: verbrannte Gehöfte, die Ruinen zerstörter Städte und Rudel von fremdartigen Tieren, die durch die Wälder streiften.
Mit einem Mal konnte Er’ril die Elv’en etwas besser verstehen. Hier oben war die Welt tatsächlich viel unbeschwerter und heller.
»Wir könnten einfach immer weiterfliegen«, flüsterte er Elena ins Ohr.
Sie umarmte ihn. »Führe mich nicht in Versuchung.«
Genau das hätte er nur allzu gern getan, aber er wusste ja, dass Elena sich durch nichts von ihrem Weg abbringen ließ. So gestattete er ihr wenigstens für einen Moment, von einer Flucht zu träumen, bevor er sagte: »Da kommt das geflügelte Kind.«
Er spürte ihren Seufzer an seiner Brust. »Dann ist es Zeit, in die Welt zurückzukehren«, flüsterte sie.
Er’ril hob ihr Kinn an und trocknete ihr die Tränen, bevor sonst jemand sie sehen konnte. »Lass uns gemeinsam gehen«, sagte er.
Elena war todmüde, als sie gegen Mittag den Kriegsrat zur Ordnung rief. Zwischen den Gestaltwandlern und den Og’ern herrschte immer noch dicke Luft. Beide Völker lebten seit langem für sich und waren voller Misstrauen. Wie sollte sie diese Eigenbrötler zu einem schlagkräftigen Heer zusammenschweißen, wenn sie kaum die Kraft hatte, diese Versammlung durchzustehen? Sie und ihre Begleiter waren von Tol’chuks Gruppe begeistert empfangen worden, doch die vielen Trauerbotschaften hatten die Wiedersehensfreude getrübt.
Jerrick, Mama Freda, der kleine Tikal … alle tot.
Ihre Augen brannten immer noch von ungeweinten Tränen. Nachdem sie die Geschichte von Vira’nis Wiedergeburt und dem Verrat der Ku’ukla gehört hatte, war sie in tiefe Hoffnungslosigkeit versunken. Auch Er’rils betroffenes Gesicht war ihr nicht entgangen. Er hatte Vira’ni einmal geliebt und nun war dieser Ausbund an Grauen auf die Berge losgelassen worden und hatte ihre Freunde getötet. Konnte das Böse in dieser Welt denn niemals sterben?
Sie tastete nach Er’rils Hand und spürte den Druck seiner Finger. Alle waren versammelt. Sie mussten beginnen.
Sie stand auf und sah sich um. Die bläulichen Fackeln warfen zuckende Schatten über die Wände. Tol chuk hatte diese Höhle die Kammer der Geister genannt, sie war eine heilige Stätte für alle Og’er Stämme. In der Mitte brannte ein Feuer, auf dessen einer Seite sich die fünf Anführer der Og’er Clans mit ihren Stellvertretern versammelt hatten. Ihnen gegenüber saß der Stammesvater der Si’lura mit seinem Kreis von Vertrauten. Dazwischen hatten die Angehörigen ihres eigenen Trupps Platz genommen.
Alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Elena begann mit fester Stimme: »In drei Nächten, wenn der Mond voll ist, wird die Welt untergehen.« Sie hielt inne und sah eindringlich in die vielen verschiedenen Gesichter. »Die ganze Welt. Nicht nur die Wälder der Westlichen Marken, nicht nur das Zahngebirge, nicht nur die Inseln vor der Küste oder die weiten Ebenen dahinter. Die ganze Welt wird untergehen.«
Sie ließ die Worte eine Weile wirken.
»Und das weißt du genau?« fragte Hun’chua, der oberste Kriegsführer der vereinten Stämme.
Elena sah kurz zu Harlekin Qual hinüber, bevor sie antwortete. »Die Nachricht stammt aus einer vertrauenswürdigen Quelle. Und auf dem Flug haben wir auch die brennenden Dörfer im Vorgebirge und die Lager im Hochland gesehen.«
Tol chuk ließ sich von einem der Felsblöcke her vernehmen:
»Sogar die Triade hat von dieser Gefahr gesprochen, bevor sie ihre Reise antrat.«
Hun’chua nickte. Durch die anderen Og’er ging ein Raunen.
»Was sollen wir tun?« fragte der Stammesvater der Si’lura. Er trug ein schlichtes weißes Gewand und keinerlei Schmuck. Für dieses Treffen hatte er sogar auf seine Blätterkrone verzichtet.
Elena gab Er’ril ein Zeichen, und er erhob sich.
In seiner schwarzen Festtracht, das schwarze Haar zu einem strengen Zopf geflochten, sah er beeindruckend aus.
Elena erschauerte, als sie ihn ansah. Sie hatten auf dem Weg hierher begonnen, das Bett miteinander zu teilen, auch wenn es noch nicht zum Äußersten gekommen war. Geschützt vor
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