Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
auf einem Schlachtfeld, auf dem über das Schicksal der Welt entschieden wird. Es wird nur ein Heer geben! Und darüber werden wir gleich jetzt beschließen!«
Elena machte große Augen. So leidenschaftlich hatte sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Es war, als sei er aus einem langen Schlaf erwacht.
»Wir werden einen Anführer wählen! Hier und jetzt!«
Gespannte Ruhe trat ein, dann fragte ein Og’er von weit hinten: »Und wer soll das sein? Du etwa? Ein Mensch?«
Das löste eine Woge der Empörung aus. Er’ril ließ die Beschimpfungen an sich abprallen wie ein Felsblock in stürmischer See. Als sich der Aufruhr gelegt hatte, sagte er: »Nein. Mein Platz ist an Elenas Seite.«
Sie wollte widersprechen. Er wäre ein ausgezeichneter Befehlshaber gewesen. Doch er trat einen Schritt zurück und warf ihr einen Blick zu. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, und zum ersten Mal las sie in seinen Augen nicht nur Pflichtbewusstsein, sondern auch Befriedigung. Er musste hier nicht stehen, er wollte hier stehen.
»Wer denn?« rief der Sprecher von hinten.
Er’ril zuckte die Achseln. »Darüber müsst ihr gemeinsam entscheiden.«
Und schon brach der Streit von neuem los.
»Er’ril«, flüsterte Elena, ohne die Lippen zu bewegen. »War das klug? Wir wollen doch nicht, dass gleich in dieser Höhle ein Krieg ausbricht.«
»Geduld, meine Liebe. Sie werden schon den Richtigen bestimmen.«
»Wie das?«
»Weil sie wissen, dass ich Recht habe. Sie werden ihre Wahl treffen, aber sie sind wie alle Anführer: Man muss ihnen die Möglichkeit geben, etwas Dampf abzulassen.«
»Bist du sicher?«
Er drückte ihr die Hand. »Bei dir hat es oft genug funktioniert.«
Sie sah ihn an und wusste nicht, ob sie sich ärgern oder lachen sollte.
Bevor sie sich entschieden hatte, durchdrang eine dröhnende Stimme das heftige Gezänk. »Es gibt nur eine Lösung!« Hun’chua schwenkte seinen massigen Arm. »Ich sage Tol chuk!«
Nach diesem Ausbruch trat zunächst Stille ein, und es gab viele zweifelnde Gesichter, auch bei den Og’ern. Tol chuk selbst schien am meisten erschrocken zu sein.
»Er ist schon unser geistiger Führer«, sagte Hun’chua zu den Oberhäuptern seines eigenen Volkes. »Aber er hat sich im Kampf gegen Vira’ni als tapferer Krieger bewährt. Er hat das Leben unserer Familien gerettet!«
Die Og’er gaben ihm murmelnd Recht.
Nun wandte sich Hun’chua an die Si’lura. »In seinen Adern fließt auch das Blut eures Volkes. Wenn wir das Heer der Og’er mit dem Heer der Gestaltwandler vereinen wollen, ist dann nicht einer, der von beiden etwas hat, der beste Anführer?«
Elena wollte schon ihre Zustimmung erklären, aber Er’ril drückte warnend ihre Hand. »Noch nicht«, flüsterte er.
Der Stammesvater der Si’lura beriet sich mit seinen eigenen Leuten, dann wandte er sich an Hun’chua. »Wir kennen diesen Og’er nicht. Wir können das Vertrauen …«
»Vertrauen?« Ferndal, der immer noch Mogwieds Gestalt beherrschte, trat vor. Er hatte in angespannter Haltung bei Dorn, der Tochter des Stammesvaters gestanden. Durch die Vereinigung der beiden Heere waren alle unter Druck geraten, und so hatten die beiden bisher wenig Zeit füreinander gefunden. Ihren fast schon zornigen Gesten nach zu urteilen, war bisher noch vieles ungesagt geblieben. »Wenn ihr an seiner Vertrauenswürdigkeit zweifelt«, fuhr Ferndal fort und stellte sich an Tol’chuks Seite, »könnt ihr auch an mir zweifeln. Ich kenne ihn. Ihr werdet weit und breit keinen finden, der so unbedingt treu ist. Treu nicht nur gegenüber den Og’er Clans oder seinen Si’lura Freunden, sondern gegenüber allen, die reinen Herzens sind und denen das Schicksal unserer Völker nicht gleichgültig ist.«
Der Stammesvater verzog keine Miene.
Dorn schaltete sich ein. »Vater, die Wurzel hat uns zu den Zwillingen geschickt. Vielleicht sollten wir in diesem Fall auf Ferndal hören.«
Der Stammesvater seufzte tief auf. »Ich bin einverstanden.«
Damit blieb nur noch ein Gegner. Tol chuk stand auf. »Ich bin kein Kriegsführer.«
Er’ril ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Gerade deshalb bist du die beste Wahl. Du bist unvoreingenommen und kannst Ratschläge von beiden Seiten annehmen. Denn daran erkennt man einen wahren Führer: dass er sich weise Ratgeber sucht und auf ihre Worte hört.«
Tol chuk sah den Präriemann an, als zweifle er an dessen Verstand, aber er schwieg. Auch er wusste, dass ein Führer gebraucht wurde, um die
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