Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
unter Deck angekettet.
Sie stand an der Reling und schaute hinaus auf die Ödnis, die einmal ihre Heimat gewesen war. Die Obstbäume waren zu feuergehärteten Speeren verbrannt, die auf den Himmel zielten. Die Luft roch nach Rauch und Asche.
Seit es dunkel war, sah man auf den Hügeln vereinzelt rötliche Glutnester leuchten, Schwelbrände, wie Er’ril sie von den Torfmooren der Nord Steppe kannte. Wanderer mussten sich dort sehr in Acht nehmen. Ein unvorsichtiger Schritt, und sie verbrannten jämmerlich. Doch das Gelände hier war vermutlich noch gefährlicher, denn niemand wusste, welch tödliche Magik unter der qualmenden Oberfläche lauerte.
Die Windfee hielt einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem verwüsteten Tal. Unten sammelten sich da, wo die Wälder noch grün waren, die Og’er Truppen und schlugen für die kurze Nacht ein Lager auf. Auch das Heer der Si’lura landete, um sich etwas Ruhe zu gönnen. Einige blieben Vögel, andere kehrten in die Gestalt zurück, in der sie sich am wohlsten fühlten, und verwandelten sich in Bären, Wölfe, Waldkatzen oder eine Mischung aus verschiedenen Tieren.
Über dem Tal stand hell und rund der Mond. Noch eine Nacht, und er würde voll sein dann war Mittsommer, und das Schicksal der Welt hing ab vom Erfolg oder Misserfolg ihrer Handlungen.
Donnergrollen war zu hören. Es klang wie Kriegstrommeln. Von der fernen Küste wälzte sich ein Unwetter heran. Merik hatte gesagt, die ersten Regentropfen würden schon in der Nacht fallen; morgen früh befänden sie sich mitten im Sturm. Das hieß, sie mussten mit aufgeweichten Böden rechnen, aber der Feind hätte die gleichen Probleme. Und vielleicht könnten sie im Schutz von Donner und Regen auch näher an die Grube heranrücken, bevor sie von den wie auch immer gearteten Heerscharen des Herrn der Dunklen Mächte entdeckt würden.
Er’ril runzelte die Stirn. Auf dem langen Weg hierher hatte sich der Feind noch kein einziges Mal gezeigt, und das war es, was ihn an der Szene dort unten am meisten störte. Er war nicht so einfältig zu glauben, sie wären nicht bemerkt worden. Warum also machten die in der Grube verschanzten Streitkräfte keinen Ausfall, warum griff niemand ihre Flanken an? War man sich da unten seiner Sache so sicher? Die vollkommene Ruhe machte Er’ril nervöser, als wenn sie sich jeden Fußbreit Boden hätten erobern müssen.
Die Grube klaffte in der verwüsteten Landschaft wie ein riesiges Loch. Die Ränder waren von schwarzem Rauch verhüllt, und in der Mitte glühte es wie ein höllisches Feuer, das immer wieder von einem gewaltigen Blasebalg angefacht wurde. Wenn man zu lange hinsah, wurde man benommen und verlor jeden Mut.
Einer um den anderen war unter Deck verschwunden. Die Pläne für den nächsten Morgen standen fest, und man hatte Wachposten aufgestellt, sollte der Feind die Nacht zum Angriff nutzen. Nun konnte jeder die letzten Stunden der langen Reise auf seine Art verbringen. Einige versenkten sich ins Gebet, andere suchten die Gesellschaft von Freunden und Geliebten, wieder andere bereiteten sich in stiller Betrachtung auf den kommenden Tag vor. Sobald es hell wurde, sollten die Hörner zum Kampf blasen und die letzte Schlacht um das Wehrtor einleiten.
Er’ril blieb bei Elena. Joach stand auf der anderen Seite. Er war über das Schicksal ihres heimatlichen Tales nicht weniger entsetzt als sie. Obwohl ihn Greschyms Tod sichtbar verjüngt hatte, stützte er sich so schwer wie ein alter Mann auf seinen Stab.
Über ihnen wurde die erste Wolkenwand vom Sturm über den Himmel gejagt und verdeckte die Sterne. An den Rändern wetterleuchtete es. Bald würde auch der Mond verschwinden, dann würde sich tiefe Finsternis über das Tal senken und den schrecklichen Anblick auslöschen. Er’ril sah Elena in einer Schwermut versinken, die noch tiefer und schwärzer war als die Grube unten im Tal, und konnte es kaum erwarten, dass der Sturm den grauenvollen Anblick vor ihr verbarg.
Joach trat von einem Fuß auf den anderen und zog sich den Umhang fester um die Schultern. »Es wird kalt. Vielleicht sollten wir hinuntergehen.« Er sah Er’ril über Elenas Kopf hinweg an, nickte viel sagend und zog sie von der Reling weg.
Sie bewegte sich wie in Trance.
Eine Windbö fegte über das Deck und peitschte Er’ril die ersten kalten Regentropfen ins Gesicht. Er nahm Elenas anderen Arm. »Wir sollten schlafen, solange es noch geht«, murmelte er.
Zu dritt strebten sie der Luke auf dem Vordeck
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