Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
deines weiblichen Körpers bist du ein junges Mädchen von nicht mehr als fünfzehn Wintern.« Man hörte ihm an, wie sehr er sich schämte.
Sie war traurig geworden. »Fünfzehn Winter? Mag sein. Aber in den letzten Wintern bin ich zur Frau gereift, und nicht nur durch meine Magik. Ich habe auf dieser Reise nicht nur Feinde getötet, sondern auch Wesen, die mir nahe standen. Ich habe Heere zum Sieg und ins Verderben geführt. Ich bin ins Herz der Finsternis eingedrungen und habe sogar den Tod überlebt. Und irgendwann auf diesem Weg …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »… habe ich gelernt, dich … zu lieben.«
»Elena …« Er zog sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.
»Was spielt die Zahl der Winter schon für eine Rolle?« flüsterte sie. »Der Bann hat mich nur um eine Hand voll davon altern lassen, mein Herz ist noch um vieles reifer.« Es folgte ein zittriges Schluchzen, dann schlug sie ihm wütend und verzweifelt mit der Faust auf die Brust. »Du dagegen … du hast dein Herz schon vor der Welt verschlossen, als du kaum erwachsener warst als ich heute. Die Unsterblichkeit hat nicht nur dein Leben eingefroren … sondern auch dein Herz.«
Er’ril lag da und wusste nicht, wie er ihr widersprechen sollte. Seit er einst mit den anderen in jenem Gasthaus in Winterberg das Buch des Blutes erschaffen hatte, war er ruhelos durch die Welt gezogen, immer einen Schritt von seinen Mitmenschen entfernt. Tausende von Straßen war er im Laufe der Jahrhunderte entlanggewandert, zahllose Kämpfe auf namenlosen Schlachtfeldern hatte er ausgefochten, doch nur in der kurzen Zeit mit Vira’ni war der Eispanzer der Unsterblichkeit um sein Herz geschmolzen. Und nach diesem kurzen Zwischenspiel hatte er ihn wieder gefrieren lassen.
Er nahm Elenas Gesicht in beide Hände und betrachtete es prüfend. War der Altersunterschied denn wirklich so groß? Ihre Augen gaben ihm die Antwort. Sie zeigten ihm die Tiefe ihrer Trauer, das wahre Alter der Frau, die seinen Blick erwiderte …
»Er’ril …«
»Still.« Er rollte sich auf die Seite, bis er halb über ihr lag. Jetzt sah er nieder auf die Frau, die er liebte die er lieben wollte, und ließ zum ersten Mal, seit sie beieinander lagen, seinen Gefühlen freien Lauf. Wie ein Feuer fuhr ihm das Begehren durch Herz und Glieder. Er rang nach Atem, war selbst überrascht von der Heftigkeit seiner Empfindungen.
Er beugte sich nieder und küsste sie. Sein Widerstand war gebrochen. Als er den Mund auf ihre Lippen presste und sein Atem sich mit dem ihren mischte, war sie es, die aufkeuchte. Mit eisernem Griff hielten sie sich umschlungen, und die Finger krallten sich immer noch fester ins Fleisch des anderen.
Irgendwo krachte ein Donnerschlag, und ein Regenschauer prasselte wie ein Pfeilhagel gegen die hölzernen Schiffswände. Sturmböen warfen das Boot heftig hin und her.
Doch die beiden lagen sich in den Armen, ihre Herzen waren eins, und sie merkten nicht, was um sie herum vorging.
Endlich löste Er’ril die Lippen von Elenas Mund und streifte ihren Hals, ihre Brust. Sie schrie auf und drängte ihm entgegen.
»Elena …«, stöhnte er und schaute für einen Moment zu ihr auf. Er ritt in schwindelnder Höhe auf einem Wogenkamm und drohte in die Tiefe zu stürzen. Ihre Blicke begegneten sich. Ein letztes Mal suchte er nach einem Zeichen der Abwehr, einer Aufforderung innezuhalten. Doch er sah nur die gleiche Leidenschaft, die auch ihn beseelte, ein Feuer, das alle Hemmungen niederbrannte.
Obwohl es keiner Worte bedurfte, flüsterte Elena: »Du brauchst mich nicht zu retten … Es genügt, wenn du mich liebst.«
»Für alle Zeit«, antwortete er und ließ sich fallen. »Bis in alle Ewigkeit.«
Auf einer Hügelkuppe, eine Meile davon entfernt, saß Greschym auf seinem Rotschimmel und beobachtete das von Sturmböen geschüttelte Schiff, als visierte er ein Ziel an.
Der Eisenkiel der Windfee leuchtete feurig rot durch die Nacht. Ein Blitz erhellte kurz die gerefften Segel und die vom Regen gepeitschten Masten. Das Elv’en Schiff hüpfte im Sturm auf und ab wie ein Korken auf den Wellen. Am Heck stand eine blau erleuchtete Gestalt vermutlich der Kapitän, der alles daransetzte, das Schiff heil durch den Sturm zu bringen. Alle anderen waren wohl unter Deck und warteten auf ruhigeres Wetter und auf den Tagesanbruch.
Greschym lächelte nur, als eine Bö in die Eiche fuhr, unter der er stand, und ihn mit einem Wasserschwall überschüttete. Er fasste seinen Stab
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