Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Köpfe der Kinder hinweg an. »Aber Rodricko braucht doch die Magik der Blüte. Sie erhält ihn am Leben.«
Nicht der Älteste antwortete auf den Einwand, sondern Scheschon. »Roddie braucht die Blume jetzt nicht!« rief sie trotzig. »Er hat sich heute schon in den Finger gestochen, und bis er krank wird, dauert es noch eine Weile.«
»Beruhige dich«, mahnte Meister Edyll.
Das kleine Mädchen holte tief Luft und seufzte. »Die Blume muss in den Rauch gehalten werden. Das hat Papa gesagt.«
»Ich will ihr aber meine Blume nicht geben«, maulte Rodricko.
Scheschon fuhr zu ihm herum. »Du musst aber. Sonst können wir Hant nicht helfen.«
Rodricko machte ein böses Gesicht, aber dabei zitterte seine Unterlippe, und er war den Tränen nahe. »Ich will ihr meine Blume trotzdem nicht geben. Sie gehört nicht dir oder ihr, sondern mir. Es ist meine Blume.«
Wieder schaute Saag wan über die Kinder hinweg. »Meister Edyll, ich muss wirklich los.«
Er nickte und trennte die beiden Streithähne. »Ich weiß, aber ich finde, wir sollten auf das Mädchen hören. Scheschon ist reich mit Meeres Magik gesegnet und kann in die Zukunft schauen. Sie hat geträumt, sie müsste Rodricko hierher bringen, um Hant zu helfen.«
»Ich wüsste nicht, wie …«
»Ich auch nicht. Aber die Kleine ist mit dem Sohn des Großkielmeisters eng verbunden. Vielleicht kann sie mit ihren Fähigkeiten spüren, was ihm widerfährt. Und da du sowieso zur Insel willst …« Er zuckte die Achseln. »Das Risiko ist eher gering.«
Saag wan hatte erhebliche Bedenken, doch zugleich regte sich ein Hoffnungsfünkchen in ihrem Herzen. Wenn für Hant Hilfe möglich war, dann vielleicht auch für sie selbst? Sie nickte langsam. »Was soll ich mit der Blüte machen?«
Scheschon bekam vor Eifer ganz rote Wangen. »Du musst die Blüte in den Stinkerauch halten, der aus dem Boden kommt. Einfach so!« Sie schwenkte den Arm durch die Luft.
Saag wan schaute nach Norden. Über dem Vulkan leuchtete der Himmel in mattem Rot. »Das ist alles?«
»So hat es mir mein Papa gesagt.«
Saag wan drehte sich stirnrunzelnd um. »Dein Papa?«
Meister Edyll schüttelte den Kopf. »Nur im Traum.« Er kniete neben Rodricko nieder und fragte den Jungen freundlich: »Darf Saag wan deine Blume mit auf die Insel nehmen?«
Rodricko zog eine Schnute. »Es ist meine Blume …«
Edyll streichelte ihm die Wange. »Natürlich. Saag wan bringt sie auch bald wieder zurück. Ehrenwort.«
Scheschon gab ihm einen Schubs. »Nun hör schon auf, Roddie. Du benimmst dich wie ein Baby!«
»Ich bin kein Baby!« fuhr er sie an. Mit zitternden Fingern streckte er dem Mer’ai Ältesten das Zweiglein entgegen, und Meister Edyll nahm es ihm ab. »Siehst du!« schrie Rodricko. »Ich bin kein Baby!«
Die beiden starrten sich wütend an.
Meister Edyll ging vorsichtig um die gefaltete Drachenschwinge herum und reichte Saag wan den kleinen Stängel. »Gib gut darauf Acht.«
Sie nahm den abgebrochenen Zweig und untersuchte die schwere Blüte. Ragnar’k sah aufmerksam zu. Die violetten Blütenblätter umschlossen einen feuerroten Kelch. Von Magik spürte sie nichts. Ihr Blick wanderte zu Meister Edyll. Er hatte wohl die Zweifel darin gelesen.
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß, es klingt sehr töricht. Es sind ja noch Kinder. Vielleicht ist es nur eine Laune von Scheschon. Trotzdem …« Er sah sich kurz nach den beiden um.
»Was?«
Er wandte sich wieder Saag wan und dem Drachen zu. »Scheschon wusste, dass du heute Morgen zur Insel fliegen wolltest. Wie vielen ist das außer dir sonst noch bekannt?«
»Vielleicht konnte jemand seinen Mund nicht halten.«
Meister Edyll zog eine Augenbraue hoch. »Auf einem Blutreiter Schiff?« Er seufzte. »Wer weiß? Vielleicht hast du Recht. Dennoch kann ein Versuch nichts schaden.«
Sie nickte. »Das stimmt.« Sie steckte den Zweig in den Bund ihrer Hose. »Hant zu helfen …« Hant und auch mir, fügte sie in Gedanken hinzu. »… ist immer einen Versuch wert.«
Meister Edyll trat zurück. »Sei vorsichtig.«
Saag wan holte tief Atem. »Natürlich.« Sie klopfte ihrem Drachen den Hals. »Ich bin ja nicht allein.«
Der Älteste sammelte die Kinder ein und führte sie weg.
Können wir jetzt?, fragte Ragnar’k ungeduldig und hielt die Nase in den böigen Wind. Saag wan spürte, wie sehr er sich danach sehnte, endlich frei fliegen zu können, nachdem er so lange in Kast gefangen gewesen war.
Flieg, mein Herz, flieg.
Die Begeisterung des Drachen griff
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