Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
flossen Ströme von schwarzem Fleisch. Überall klirrte der Stahl und trennte Leben und Tod. Der Wind trug Saag wan den Geruch von verbranntem Fleisch zu, vermischt mit dem Verwesungsgestank der Bestie und den Schwefeldämpfen des Vulkans. Sie hielt den Atem an und sprach ein stummes Gebet.
Als sie die Hauptmasse der Schreckensbestie überflogen, ertönte wieder das bekannte Summen in ihrem Schädel. Ein Echo des Simaltrum drohte die Leere zu füllen, die das Tentakelwesen aus dem Ei hinterlassen hatte. Saag wan stockte der Atem. Sie war wie ein Schloss, das der Geist des Bösen aufzubrechen suchte.
Saag wan?
Sie spürte, dass Kast von alledem nichts mitbekam. Warum aber sie und er nicht? Ein Gedanke stieg in ihr auf … eine Antwort, die sich zur Gewissheit verdichtete und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wieder sah sie auf die Bestie hinab, betrachtete die geschmeidigen Fäden, mit denen sie ihre Sklaven so meisterhaft zu führen verstand. Jetzt begriff sie, und sie wusste nun auch, warum der Herr der Dunklen Mächte so darauf erpicht gewesen war, Ragnar’k in seine Gewalt zu bekommen.
»Nein …«, stöhnte sie, als sie der Monstrosität entgegenstürzten.
Saag wan? Kast geriet ins Trudeln und verlor sein Ziel aus den Augen. Die Angst um sie hatte ihn unsicher gemacht.
»Nicht nachlassen! Halte auf das Tor zu!« drängte sie verzweifelt.
Kast gehorchte. Er breitete die Schwingen aus, fing den Sturz ab und schoss im Steilflug über die wogende Schwärze hinweg auf das offene Tor zu. Das Monster bemerkte sie und zuckte heftiger.
Saag wan hatte Kopfschmerzen, und ihr Blickfeld wurde immer enger, bis sie nur noch das gähnende Tor vor sich sah. Hinter der Schwelle leuchtete ein feuriger Schein. Fackeln vielleicht?
Kurz vor der Öffnung zog Kast hoch, um knapp unter dem Bogen einzufliegen. Saag wan drückte sich fest an den Drachen. Unter ihr wogte das ölige Fleischmeer. Ein Bündel Fangarme schoss himmelwärts und suchte sie aufzuhalten.
Saag wan wusste, dass sie dieses schwarze Fleisch nur zu berühren brauchte, um versklavt zu werden. Flieg, drängte sie ihren Liebsten, flieg, du wahrer Drache meines Herzens.
Und Kast wurde aus Liebe zum Flugkünstler. Als sie das Fangarmbündel erreichten, legte er sich erst auf die eine, dann auf die andere Seite, um den gierigen Tentakeln auszuweichen. Er schlug die waghalsigsten Kapriolen, einmal rollte er sich gar spiralförmig durch die Luft.
Die Bestie mochte Saag wan spüren, doch für den Drachen war sie blind, und deshalb war sie weder seiner Geschwindigkeit noch seinen jähen Richtungswechseln gewachsen. Die beiden überwanden das Hindernis im Triumph und schossen durch das Tor.
Dahinter schloss sich ein Gang von riesigen Ausmaßen an, ein Schacht aus geschmolzenem Glas, von tausend Fackeln erhellt, aber vollkommen verlassen. Saag wan ahnte, dass der Herr der Dunklen Mächte alle Kräfte von der Insel abgezogen hatte, um das Monster am Tor zu stärken und Energie in seine letzten Magik Aktionen zu leiten. Hier lebte nur noch der schreckliche Wille des Schwarzen Herzens.
Aber wozu das alles? Was plante der Herr der Dunklen Mächte unter dem ersten Vollmond dieses Mittsommers?
Kast flog durch den Gang und manövrierte sich mit feinsten Bewegungen der Schwingensäume über Brücken hinweg und unter Laufplanken hindurch.
Vorhin am Tor, sendete er, hast du etwas gespürt, aber du hattest Angst, darüber zu sprechen.
»Das Wesen … Ich weiß jetzt, was es ist.«
Was?
»Ein riesiges Simaltrum. Eine Wahnsinnsversion der kleineren Ungeheuer, von denen Hant und ich besessen waren. Ich habe es an seiner Berührung erkannt, an der Art, wie es meinen Willen zerfressen wollte. Ich glaube, das ist ein Grund, warum der Herr der Dunklen Mächte Ragnar’k aus dem Weg schaffen wollte. Das Gebrüll das Drachen ist mit Magik gesättigt und hätte das Wesen ebenso zerstören können wie damals im Verlies seine kleineren Brüder.«
Hatte er den Drachen aber erst in seiner Gewalt, ergänzte Kast, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte, dann konnte er diese Magik gegen uns einsetzen.
»Genau das geschieht jetzt. Ragnar’k greift Meister Tyrus und die anderen an. Ich glaube nicht, dass der Prinz und die Seinen über die nötigen Kräfte verfügen, um sich gegen einen Drachendämon aus Rauch zu behaupten.«
Wird es uns denn besser ergehen?, fragte Kast.
Saag wan schwieg. Der Drache flog weiter durch den langen dunklen Gang, hinein in den Bauch
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