Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
eines schwarzen Leviathans, der die Absicht hatte, die ganze Welt zu verschlingen.
»Auch wir haben vielleicht keine Magik«, sagte Saag wan endlich, »aber dafür haben wir etwas, was noch stärker ist.«
Was soll das sein?
Sie kniff die Augen zusammen. »Wir haben einander und wir haben das Band, das uns zusammenhält.«
Kann denn dieses Band der Magik des Herrn der Dunklen Mächte standhalten?
Saag wan schaute den langen Gang entlang. Sie war unsicher geworden, ihre Stimme klang schwach. »Wir können es nur hoffen, mein Liebster. Wir können es nur hoffen.«
26
Er’ril schwebte in einer Seilschlinge durch den Nebel. Die Welt ringsum war verschwunden. Die Ränder der Grube waren eine halbe Meile entfernt und durch die wirbelnden Schwaden nicht zu erkennen. Er sah nur die kleine Gruppe, die mit ihm unter dem Bauch der Windfee hing.
Elena schaukelte neben ihm, in ihren Umhang gehüllt, so nahe, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie zu berühren. Sie glitten schon so lange in die Tiefe; war diese Grube denn bodenlos?
Selbst die Geräusche waren verstummt. Der Lärm der Schlacht die Schreie, das Gebrüll, die Rufe und das Wehklagen hatte sich auf dem Weg nach unten ebenso verflüchtigt wie die sichtbare Welt. Der Nebel schien alles auszulöschen.
Er’ril betrachtete die anderen um sich herum. Sie hingen an den Seilen wie reife Trauben an einem Weinstock. Niemand sprach ein Wort. Der Nebel war seltsam warm und legte sich wie eine ölig glänzende Schicht auf Haut und Kleider. Er roch nach Schwefel und verbranntem Blut.
Er’ril schaute nach oben. Sogar das Schiff war in dem verfluchten Nebel verschwunden. Die Windfee hatte sich bis auf die Höhe der Dunstschwaden sinken lassen, dann hatte sich die Gruppe durch Luken am Heck mit Tauen und Flaschenzügen abgeseilt. Niemand hatte sie gesehen Joachs Magik hatte ihren Zweck erfüllt.
Elenas Bruder schaukelte nicht weit von ihm entfernt an seinem Seil. Seinen Stab hielt er fest in der Hand. Das versteinerte Holz leuchtete so weiß wie frisch gefallener Schnee, war aber von roten Adern durchzogen Joachs eigenem Blut.
Die anderen hielten die Augen offen, hatten ihre Bündel auf dem Rücken und waren jederzeit auf einen Angriff gefasst. Waffen blitzten durch das Halbdunkel. Tol chuk und Magnam hatten Hämmer mitgebracht. Harlekin Qual spielte fast gelangweilt mit einem Dolch. Jaston, Ferndal und Dorn trugen Kurzschwerter. Nur Merik und Ni’lahn waren unbewaffnet bis auf die Magik, die sie in sich trugen.
»Der Mond geht auf«, flüsterte Elena. Es war nur ein Hauch, der kaum die Luft bewegte, doch alle hatten es gehört. In dieser sonderbaren Wolke verbreitete sich der Schall auf unberechenbare Weise.
Er’ril schwang zu ihr herum. Sie schlug ihren Umhang so weit zurück, dass er das Buch des Blutes sehen konnte. Über dem Rand der Innentasche leuchtete so hell wie ein Stern die goldene Rose.
Er’ril blickte abermals nach oben und runzelte die Stirn. »Aber die Sonne scheint doch noch«, murmelte er.
Sie nickte und ließ den Umhang wieder fallen. »Ein Narrenmond.« Sie schlang fröstelnd die Arme um den Körper. »Ich wage das Buch nicht zu öffnen, ehe wir nicht festen Boden unter den Füßen haben.«
Er’ril nickte. Die Magik, durch die Cho freigesetzt wurde, könnte aufschrecken, was womöglich unter ihnen im Nebel lauerte. Bevor man den Geist des Buches befragte, sollte man etwas klarer sehen, woran man war. Obwohl die dichten Nebel Deckung gaben, fühlte man sich an den Seilen jeder Bedrohung schutzlos ausgeliefert.
Jaston steckte sein Schwert in die Scheide und meldete: »Cassa Dar kehrt zurück.« Weiter links flog von unten eine kleine geflügelte Gestalt in Spiralen auf die Gruppe zu. Mit wenigen Flügelschlägen war sie bei Jaston und ließ sich auf seinem Arm nieder. Sie war sichtlich erschöpft, das Gesichtchen war bleich, die Flügel zitterten.
»Cassa Dar?« flüsterte Jaston und strich dem Kind eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.
»Die Verbindung ist hauchdünn«, sagte das Kind mit einer Stimme, die viel älter war als seine kleine Gestalt. »Ich weiß nicht, wie lange ich sie noch aufrechterhalten kann.«
»Was hast du erfahren?« fragte Er’ril.
Die Augen des Kindes richteten sich auf ihn. »Der Nebel reicht von hier aus noch etwa vierzig Handspannen weit in die Tiefe. Danach hat man klare Sicht. Ich wollte mich nicht lange aufhalten.«
»Was kannst du uns noch sagen?« fragte Elena. Alle Augen ruhten auf
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