Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
vielleicht die Mitte der ganzen Höhle.
Er senkte das Glas und überlegte. »Wir reiten auf das Feuer zu«, sagte er dann. Er war so erschöpft, dass er sich kaum noch im Sattel halten konnte.
Sie setzten sich wieder in Bewegung und durchquerten gemeinsam den gewaltigen Raum. Ohne die Wände war es schwierig, die Entfernungen richtig einzuschätzen. Sie marschierten immer weiter, aber die Feuergrube schien nicht näher zu kommen.
»Es ist, als segelte man auf eine gebirgige Küste zu«, sagte Blott. »Das Ziel ist weiter weg, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.«
Doch Tyrus gab nicht auf, und endlich wurde seine Ausdauer belohnt. Aus dem hellen Fleck wurde ein loderndes Feuer. Die Flammen züngelten aus einem Loch im Boden, in dem ohne weiteres eine kleinere Burg Platz gefunden hätte. Die Hitze war so stark, dass sie nicht allzu nahe herangehen konnten, aber durch das Feuer wären sie wenigstens schon von weitem zu erkennen.
Tyrus war zufrieden und ließ ein Lager aufschlagen. Er selbst stieg vom Pferd und kramte in den Taschen seines Umhangs nach seiner Silbermünze. Er wollte noch einmal versuchen, Xin zu erreichen …
Schuss trat zu ihm. »Das Feuer raucht«, sagte er mit seinem schwerfälligen Steppenakzent.
Tyrus hörte den besorgten Unterton und blickte auf. »Das Feuer raucht? Tut das nicht jedes Feuer?«
»Dieses hier nicht«, sagte Schuss. »Jedenfalls bis vorhin nicht.«
Tyrus ging um sein Pferd herum. Zwischen den züngelnden Flammen schossen dicke schwarze Rauchsäulen aus der Feuergrube.
»Sag auch den anderen Bescheid!« befahl er Schuss.
Während Schuss Alarm schlug, starrte Tyrus in den aufsteigenden Rauch. Über der Grube gab es keinen Abzug, die Dämpfe blieben im Berg gefangen, wurden immer dichter und standen bald wie eine Gewitterwolke über ihnen.
Ringsum erhob sich Stimmengemurmel. Es klang deutlich beunruhigt.
Die Wolke entfaltete mächtige Schwingen und fuhr einen langen Nebelhals aus.
Die Stimmen wurden lauter und riefen durcheinander. Tyrus schwieg. Die Umrisse waren verschwommen, eher schemenhaft als wirklich greifbar, dennoch wusste er, was da vor ihm entstand. Er hatte die Geschichte bereits von Xin gehört.
Wie von selbst kam ihm der Name über die Lippen, als in der Wolke zwei rote Augen aufleuchteten und sich hasserfüllt auf ihn richteten.
»Ragnar’k.«
Saag wan fuhr auf dem Rücken ihres Drachen erschrocken in die Höhe und schnappte nach Luft. In ihrem Bewusstsein hatte sich ein Riss aufgetan, und etwas drängte an die Oberfläche. Die Berührung fühlte sich so schwarz und ölig an wie das Simaltrum, aber sie war auch in gewisser Weise vertraut und sie ging ihr zu Herzen.
Saag wan, sendete Kast. Was hast du?
Ein Windstoß blies ihr die Kapuze vom Kopf und zauste ihr das feuchte Haar. Von unten drangen Geschrei und Kampfeslärm herauf, aber sie achtete nicht darauf, sondern ging in sich und tastete nach der erwachenden Finsternis. Eine Verbindung öffnete sich, mit der sie nicht mehr gerechnet hatte. Ragnar’k?
Kast hatte ihre Gedanken gelesen und spürte ihre Erschütterung. Was ist mit ihm?, fragte er und entfernte sich in einer weiten Kurve vom Kampfgeschehen.
Spürst du ihn nicht?, fragte sie. Er ist aufgewacht.
Ich spüre gar nichts, aber er war ja auch nicht mein Leibgefährte.
»Ich spüre seinen Zorn, und ich rieche Rauch«, sagte sie.
Wo ist er?
»Schwarzhall …« In diesem Punkt war sie ganz sicher. Sie schloss die Augen und folgte mit ihren inneren Sinnen der neuen Verbindung. Flackernde Bilder tauchten auf, Szenen in einer großen Höhle, Flammen, Gestalten im Dunkeln.
Ein Mann stand da. Er hielt ein Schwert in der Hand, die andere hatte er drohend erhoben. Die Finger waren unnatürlich schwarz. Als er sich dem Drachen zuwandte, erkannte ihn Saag wan: das helle Haar, der Schnurrbart, der Seefahrer Umhang, jetzt voller Flecken und Risse. »Tyrus«, murmelte sie.
Der Piratenprinz?, fragte Kast dazwischen.
»Er und die Zwerge stehen Ragnar’ks Schatten gegenüber.«
Und der Drache?
Saag wans Interesse verstärkte das Band zwischen ihr und Ragnar’k. Sie konnte dem Drachen ins Herz schauen, und was sie dort sah, war erschreckend: ein dunkles Gebräu aus Triebhaftigkeit und Wahnsinn. Und eines war unverkennbar. »Er ist übergelaufen«, flüsterte sie in den Wind hinein. »Er steht als Bösewächter im Dienst des Herrn der Dunklen Mächte.« Die Erkenntnis brach ihr das Herz. O mein süßer Riese …
Der Stoßseufzer wurde
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