Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
gehört. Ganz schwach drang die Antwort zu ihr. Leibgefährtin … Komm zu mir … Ich warte auf dich. Es waren Ragnar’ks Gedanken, aber sie erinnerten, schwarz, ölig, Schmerz verheißend, eher an das Simaltrum. Von Liebe war nichts zu spüren, nur die alten Bluts und Seelenbande waren geblieben. Du sollst mit mir das rohe Fleisch meiner Opfer genießen, sollst ihren Schreien lauschen, wenn ich ihnen die Eingeweide aus den weichen Bäuchen reiße … Komm zu mir, Leibgefährtin.
Sie zog sich zurück, konnte aber die Verbindung nicht kappen. Seit der Drache erwacht war, riss der Kontakt mit ihr nicht mehr ab.
Ragnar’k spürte, wie sie auf Abstand ging. Drachengelächter schallte ihr nach. Wir werden eins sein für alle Zeit.
Saag wan schlug die Augen auf. Die Tränen liefen ihr so schnell über die Wangen, dass selbst der Wind sie nicht trocknen konnte.
Saag wan? Das war wieder Kast. Unter seiner Wärme schmolz das Eis in ihren Adern; dennoch fröstelte sie, denn Ragnar’k hatte die Wahrheit gesprochen. Sie war abermals an einen Dämon gekettet.
»Wir müssen ihn aufhalten«, klagte sie.
Ragnar’k? Und wie?
Ihr Herz war so zerrissen, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Waren uralten Bande zwischen einem Drachen und seinem Reiter erst einmal geknüpft, dann gingen sie bis ins Mark. Ein Reiter, der seinen Drachen verlor, stürzte oft in eine Verzweiflung, aus der er nicht mehr herausfand. Seinen Leibgefährten verlieren hieß sich selbst verlieren. Aber Saag wan wusste, sie hatte keine Wahl. »Ragnar’k muss getötet werden«, sagte sie laut, denn sie wollte die Worte aus ihrem eigenen Munde hören.
Sie zog sich die Kapuze aus Haifischhaut über den Kopf und beschloss, etwas zu tun, was noch kein Reiter in der Geschichte der Mer’ai je getan hatte. Sie würde ihren Leibgefährten ermorden.
Kast kehrte wieder zum Schlachtfeld zurück.
Die Welt legte sich schräg, und unter seiner Flügelspitze erschien der Krieg mit all seinen Schrecken. Unter dem Einfluss der schwarzen Bestie griff das Heer der Toten die Truppen der Mer’ai, der De’rendi und der Elv’en an. Der Kampf war nicht zu gewinnen. Sobald ein Schiff zerstört, ein Drache, ein Krieger getötet wurden, wälzte sich die schwarze Masse über die Opfer hinweg und machte sie zu Sklaven. Mit jedem Toten wuchs die Streitmacht des Herrn der Dunklen Mächte.
Das einzige Gegenmittel war Feuer.
Im Laufe des Gefechts stellte sich heraus, dass die öligen Fäden zwischen den Toten und ihrem Herrn verbrannt werden konnten; waren sie erst durchtrennt, brachen die Sklaven zusammen und regten sich nicht mehr. Seither segelten Schwärme von Brandpfeilen durch die Düsternis, und die Katapulte verschossen Fässer mit brennendem Pech, die feurige Bögen über den Himmel zeichneten und in der schwarzen Masse explodierten.
Noch waren Lebende und Tote gleich stark. Doch das konnte nicht ewig so bleiben. Irgendwann würden die Pechfässer zur Neige gehen, die Pfeilvorräte würden schwinden und die schwarze Bestie würde alles unter sich begraben.
»Wir können nicht auf die anderen warten«, sagte Saag wan. »Ragnar’k rückt soeben gegen Tyrus und die Zwerge vor.«
Was sollen wir denn tun?
»Die Flotten haben das Monster aus dem Tor gelockt. Der Weg ins Innere des Berges ist frei. Ich finde, wir sollten hineinfliegen.«
Allein?
»Einen Versuch ist es wert. Hier können wir nichts ausrichten, aber für Tyrus und die anderen könnten wir zum Retter in der Not werden.«
Kast schwieg, aber Saag wan wusste, dass er ihr zustimmen würde. Er war ein Blutreiter und hatte das Herz eines Kriegers. Wir müssen schnell sein, sagte er endlich.
»So schnell wie der Wind«, bestätigte sie.
Kast suchte sich einen Aufwind und ließ sich in die Höhe tragen. Bald waren sie dicht unter den Wolken und weit über den tobenden Kämpfen. Die Hänge des schwarzen Berges dampften unter der Hitze ihres inneren Feuers. Bist du bereit?, sendete er.
»Los!« flüsterte sie und beugte sich tiefer über seinen Hals. »Flieg.«
Kast neigte sich nach vorn und legte die Schwingen an. Drache und Reiterin wurden zu einem schwarzen Pfeil, der in Schwarzhalls Herz zielte. Sie stürzten auf die Kämpfenden zu und gewannen an Geschwindigkeit. Trotz der Kapuze pfiff Saag wan der Wind in den Ohren. Undeutlich spürte sie, wie sich die Hautfalten um ihre Knöchel strafften, um sie festzuhalten.
Die Welt kam näher. Der Hafen war ein brennendes Trümmerfeld. Durch die Straßen
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