Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Tentakel wuchs und reifte binnen weniger Atemzüge zur Frau. Ihr eigenes Bewusstsein verdrängte das kindliche Gemüt.
Mama! , rief das Mädchen, bevor seine Seele verglühte. Cassa Dar berührte es noch einmal. Ich liebe dich, meine Süße. Nun schlaf.
Dann war das Mädchen verschwunden.
»Hexe!« zischte Schorkan. »Deine Elementarkunststückchen werden dich nicht retten. Du entkommst mir nicht!« Sie hörte seine Worte ganz deutlich.
Cassa Dar war nur noch eine Handspanne von der Mitte des Trichters entfernt, aber sie lächelte. Sie wollte nicht mehr fliehen, sich nicht mehr verstecken. Das alles lag hinter ihr. »Wer sagt denn, dass ich dir entkommen will, Magiker?«
Sie öffnete den Mund und spie das Gift aus, das sie im Magen hatte. Nicht nur die kindliche Gestalt war gereift, auch das Geschöpf, das sie in sich trug. Das Sumpfkind, die Sumpffrau war nur die äußere Hülle. Ihre tatsächliche Verbindung hierher war das Reptil, das sich darunter verbarg.
Cassa Dar schoss aus dem Netz. Sie warf die Hülle ab und zeigte ihre wahre Gestalt. Die voll ausgewachsene Königsnatter schnellte durch die Luft und landete auf dem Dunkelmagiker.
Schorkan schrie entsetzt auf, als sie sich um ihn wand und ihr Kopf vor seinem Narbengesicht erschien. Die gespaltene Zunge glitt hervor. Das Maul öffnete sich, Zähne, so lang wie die eines Drachen, erschienen. Die Giftdrüsen am Gaumen des Schlangenschädels und im Innersten ihres Wesens begannen zu arbeiten.
Sie wusste, dass sie dem Dunkelmagiker nicht gewachsen war, aber ihr Biss konnte ihn zumindest schwächen. Sie zischte ihn an, spie ihm ihren Giftspeichel ins Gesicht, und als er dem Strahl auswich, schlug sie ihm die Zähne tief in den Nacken und pumpte ihr Gift in die Wunde, bevor er nach ihr schlagen konnte.
Ohne ihn loszulassen, spürte sie, wie er auf die Knie fiel. Doch er überlebte, was jeden gewöhnlichen Menschen binnen eines Herzschlags getötet hätte. Er brachte sogar noch einen Bannspruch über die Lippen.
Ein unerträgliches Brennen erfasste den Schlangenleib. Der Magiker schickte schwarze Flammen aus Bösefeuer. Nur wenige Augenblicke trennten sie noch vom Tod. Dennoch fuhr sie fort, ihr Gift in seinen Körper zu pumpen. Er stützte sich keuchend auf die Hände.
Mit gifttriefendem Lächeln ließ sie die Schlangengestalt verbrennen und flüchtete allerdings nicht an dem Faden entlang, der zu ihrem Körper auf Burg Drakken führte. Dafür hatte sie nicht mehr die Kraft. Diese Brücke hatte sie hinter sich verbrannt. Aber es gab noch einen Platz, an dem ihr Herz sich zu Hause fühlte.
Sie flüchtete zu einem Herzen, das im gleichen Takt schlug wie das ihre.
Als sie verschied, fiel Jaston im Tunnel auf die Knie. »Cassa Dar …«
Die anderen eilten zu ihm, aber er sah und hörte nichts. Cassa Dar belegte alle seine Sinne mit Beschlag. Der Duft der Mondblumen umfing ihn. Er schmeckte ihre Lippen auf seiner Zunge, spürte ihre Hand auf seiner Wange. »Cassa Dar, was hast du getan?«
Was nötig war … Sie umspülte ihn mit allem, was sie war, hielt ihn enger umschlungen, als sie es im Leben jemals gekonnt hätte. Aber hab keine Angst. Bewahre mich in deinem Herzen, halte die Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit frisch, und ich bin immer nur einen einzigen Atemzug von dir entfernt.
»Nein«, stöhnte er.
Geh jetzt. Ihr müsst euch beeilen. Bilder entstanden in seinem Kopf: eine Falle, die entschärft, ein Dämon, der verletzt, aber nur vorübergehend geschwächt war. Du musst um die Welt kämpfen, mein Liebster. Sie ist zu schön, um der Finsternis anheim zu fallen.
»Cassa Dar, warte …«
Ihr Atem streifte seinen Hals gleich einem Kuss. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben.
Sie entschwand wie ein Windhauch. Er presste schluchzend die Faust an die Brust. Konnte sein Herz denn jetzt noch schlagen? Es konnte …
Er hob den Kopf und sah die anderen an. »Sie ist tot.«
Er’ril kniete vor dem verletzten Jaston und ließ sich von ihm erklären, was er erfahren hatte. »Wenn es Cassa Dar tatsächlich gelungen ist, Schorkan zu verletzen, sollten wir uns beeilen«, sagte er. »Eine zweite Chance bekommen wir vielleicht nicht. Ihr Opfer darf nicht vergeblich sein.«
Von hinten ließ sich Harlekin vernehmen. »Ich würde sagen, wir haben gar keine andere Wahl.« Er schaute in die entgegengesetzte Richtung. Von der Grube her waren immer noch Schreie zu hören, aber jetzt scharrten auch Klauen über den Fels. Wenn die Skal’ten Legionen in den
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