Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
schießen, um den Mann nicht noch weiter zu gefährden.
Ragnar’k steuerte laut brüllend die Feuergrube an und ließ seine zappelnde Beute fallen. Wild um sich schlagend, einen Todesschrei auf den Lippen, stürzte Stock auf die Flammen zu.
Tyrus war wie erstarrt. Doch als er dicht neben seinem Ohr das Schwirren einer Bogensehne hörte, sah er sich rasch um. Schuss legte schon den nächsten Pfeil auf. Tyrus schaute wieder nach vorn. Der Pirat benötigte wie üblich keinen zweiten Versuch. Der erste Pfeil hatte Stock ins Auge getroffen und auf der Stelle getötet. Der Körper des Hünen war erschlafft, bevor er in die sengenden Flammen stürzte.
Tyrus ballte die Faust. Seine Finger wurden schwarz. »Alles aufsitzen!« befahl er seinen Männern. »Ihr räumt das Feld. Sofort!«
Blott stieg zwar in den Sattel, blieb aber tatenlos auf seinem Pferd sitzen. »Wir sind Piraten, Käpt’n. Und die waren noch nie gute Befehlsempfänger.«
Schlag zog Schuss hinter sich in den Sattel. »Genau! Nur feige Piraten gehorchen allen Befehlen ihres Käpt’ns.«
Tyrus sah sie lange an. »Ihr habt selbst gesagt, wer bleibt, wählt den sicheren Tod.«
Blott zuckte die Achseln. »Das Leben ist nur dann zu kurz, wenn man nicht richtig gelebt hat.«
Kopfschüttelnd griff Tyrus nach seinem Sattelknopf und schwang sich auf sein Pferd. »Und das haben wir wahrhaftig getan«, murmelte er.
»Jawohl, Käpt’n.«
»Dann lasst uns auf Drachenjagd gehen!«
Saag wan klammerte sich nicht nur mit den Händen, sondern mit ihrem ganzen Wesen an Kast. Auf dem Flug in den gläsernen Korridor war ihr ganzes Denken ausschließlich auf den Mann gerichtet, den sie liebte, denn sobald ihre Konzentration ins Wanken geriet, wurden Ragnar’ks Empfindungen und Triebe stärker.
Sie hatte miterlebt, wie der Drache seine ersten Opfer tötete. Sie hatte das Blut auf der Zunge geschmeckt, seine wilde Begeisterung war durch ihre Adern gerast, und die Schreie der Sterbenden hatten ihr in den Ohren geklungen. Auch jetzt drohten solche Gedanken und Gefühle sie noch zu überwältigen, aber Kast gab ihr Halt, er war wie ein Fels in der Brandung.
Durchhalten, drängte er. Es ist nicht mehr weit.
Sie schloss die Augen und flüchtete sich in die einfacheren, reineren Wahrnehmungen des Drachenkörpers. Das Wispern des Windes, die kraftvollen Schwingenschläge, das leise Ziehen der Muskeln, das stetige Pochen des Riesenherzens, all das gab ihr Schutz.
Dennoch drangen die schrillen Schreie des anderen Drachen weiterhin in ihr Bewusstsein wie Donnergrollen hinter dem Horizont. Am liebsten hätte sie den Kopf in den Armen vergraben, um das Grauen auszuschließen, aber sie brauchte die Hände, um sich festzuhalten, wenn Kast unter Bögen hindurchflitzte, Säulen umrundete und Statuengärten überflog.
Die Schreie wurden allmählich lauter. Auf ihrem Reittier zusammengekauert, erkannte sie nicht sofort, dass sie nicht die Sinne des Phantoms teilte, sondern mit eigenen Ohren hörte.
Wir nähern uns der Halle im Zentrum, meldete Kast.
Saag wan holte tief Luft. Du weißt, was du zu tun hast?, fragte sie.
Ich bin bereit. Aber was ist mit dir?
Als sie seine Besorgnis spürte, stieg ihr ein Schluchzen in die Kehle. Sie hatte nicht unbedingt die einfachere Rolle zu spielen. Sie richtete sich auf und öffnete sich Ragnar’k. Mein Leibgefährte, sendete sie. Ich komme zu dir.
Schon erwachte die alte Verbindung zwischen Drache und Reiterin zum Leben. Leibgefährtin!, antwortete Ragnar’k. Ungefiltert brachen die Empfindungen des Rauchdrachen über sie herein.
Sie ballte die Fäuste, um nicht vor Entsetzen aufzustöhnen.
Wäre sie nicht von dem Simaltrum besessen gewesen, sie wäre unter der ganzen Abscheulichkeit dieses Bewusstseins womöglich zusammengebrochen. Aber sie war dieser Finsternis schon einmal begegnet und würde sich nicht mehr davon beherrschen lassen.
Komm zu mir, und schwimme mit mir im Blut!
Saag wan sah das Ende des Tunnels vor sich; dahinter lag die große Halle. Sie drängte sich durch Ragnar’ks Wahnsinn und erklärte: Ich bin bereits bei dir.
Seine Begeisterung erfüllte sie. Sie hatte nichts anderes erwartet. Ragnar’k mochte der Verderbnis anheim gefallen sein, doch seine Verbindung zu ihr war älter als alle Magik. Er konnte nicht umhin, sich mit ihr zu vereinen.
Kast flog mit ihr in den riesigen Raum. Ein Wald von Fackeln bedeckte den Boden, so weit das Auge reichte. Von oben konnte Saag wan ein Muster erkennen: Die Fackeln bildeten
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