Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
tauchte den Berg in grelles Licht. Einen Atemzug lang war über ihnen der Drachenschädel zu sehen. Aus der Südflanke des Berges ragte eine Platte aus massivem Granit die Drachenschnauze. Darunter gähnte das riesige Drachenmaul, ein Tunneleingang, eingefasst von zwei steinernen, wie riesige Zähne geformten Säulen.
Der Tunnel führte in eine Höhle, die den Og’er Stämmen seit Jahrhunderten als Versammlungsstätte und als Ort des Friedens diente, wo sich Streitigkeiten gütlich beilegen ließen. Der Sage nach war der Schädel die Urheimat aller Og’er Völker. Einstmals die erste Gemeinschaftshöhle, war er nun ein Heiligtum, das niemand mit Blut zu besudeln wagte.
Der Blitz erlosch, doch das Bild hatte sich in Tol’chuks Augen eingebrannt und blieb noch eine Weile erhalten. Gleich darauf prasselte mit einem gewaltigen Donnerschlag ein kalter Schauer nieder, als hätte der Drache gebrüllt und weinte nun bittere Tränen. Plötzlich stand für Tol chuk endgültig und unumstößlich fest, dass in dieser Nacht noch Blut vom Schädel fließen würde.
Hun’chua blieb zurück. »Ich gebe den Jägern Bescheid.«
Tol chuk hielt ihn nicht auf. Er selbst ging mit großen Schritten weiter, überholte seine Gefährten und setzte sich erneut an die Spitze. Wenn eine Gefahr auf sie lauerte, wollte er der Erste sein, der sich ihr stellte.
Magnam ließ sich freilich nicht abhängen. Der Zwerg blieb an seiner Seite. »Ich habe nachgedacht«, sagte er und zog zum Schutz vor dem Regen seine Kapuze hoch.
»Worüber?«
»Wenn alles vorbei ist, kaufe ich mir ein kleines Anwesen im Flachland. Irgendwo, wo es trocken ist und wo ich nur noch die Stufen zu meiner eigenen Veranda hinaufzusteigen brauche.«
»Und was ist mit dem Gebirge und dem Bergbau? Ich dachte immer, dass es für einen Zwerg nichts Schöneres gibt.«
Magnam blies die Backen auf und machte ein unanständiges Geräusch. »Die Berge können von mir aus zur Hölle fahren! Mit Löchern und Höhlen aller Art bin ich ein für alle Mal fertig. In Zukunft gibt es für mich nur noch weite Ebenen und grüne Felder mit freiem Blick auf die ganze Welt.«
Tol chuk schüttelte den Kopf. »Du bist mir ein sonderbarer Zwerg.«
»Du bist auch nicht gerade ein Og’er wie alle anderen.«
Tol chuk zuckte die Achseln. Auf der langen Reise durch ganz Alasea hatte er vor allem eines gelernt: Man konnte niemanden allein nach seinem Äußeren beurteilen. Jedes Wesen, gleich welcher Art, hatte auch tiefere Schichten.
Wieder flackerte zwischen den Riesenzähnen am Eingang zum Schädel ein Licht auf. Tol chuk war mit den Zeichen der Jäger nicht vertraut, aber die Botschaft wurde so hastig gesendet, dass an ihrer Dringlichkeit kein Zweifel bestehen konnte.
»Was will der Leuchtkäfer?« fragte Magnam.
Tol chuk drehte sich um und sah, dass Hun’chua sich nach vorn drängte. Mogwied wurde so heftig beiseite gestoßen, dass er sich auf sein Hinterteil setzte. Jaston und Jerrick drückten sich gegen die Felswand.
»Die Ku’ukla nähern sich von Westen auf ihrem Pfad, aber sie haben weder Weibchen noch Junge bei sich.«
Magnam war Tol chuk nicht von der Seite gewichen. »Was sagt er?« fragte der Zwerg.
Tol chuk übersetzte, indes Hun’chua weiter die Lichtzeichen las. »Bewegung auf dem Ostpfad.« Eine lange Pause. »Dort sind noch mehr Ku’ukla unterwegs.«
Über ihnen flackerten neue Lichter auf, Signale aus Beobachtungsständen weiter oben auf dem Berg.
Hun’chua grollte tief in der Kehle. »Die anderen Clans melden Ku’ukla auf allen Pfaden!« Er beobachtete die Lichter weiter. »Sie halten auf einem Viertel der Höhe an.«
Tol chuk übersetzte für seine Freunde, die sich um ihn geschart hatten.
»Sie wollen uns umzingeln«, sagte Jaston. »Uns hier festnageln.«
Hinter ihnen entstand ein Aufruhr. Unter die wild blökenden Stimmen der Weibchen mischte sich das schrille Klagen der Jungen.
»Was ist los?« quiekte Mogwied.
»Die Ku’ukla haben auch die unteren Windungen unseres eigenen Pfades besetzt«, sagte Tol chuk und sah sich suchend um. Die Stammespfade waren die einzige Möglichkeit, ins Tal zu gelangen. Der Rest des Berges bestand aus steil abfallenden Felswänden.
»Werden sie angreifen?« fragte Mogwied.
»Bisher bleiben sie, wo sie sind«, antwortete Hun’chua. Zum ersten Mal verwendete er die allgemeine Sprache. Seine Augen wurden schmal. »Was haben sie vor? Die anderen Stämme könnten den Schädel auch ohne Waffen gegen die Ku’ukla
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