Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Ekel streifte er es ab. »Spinnennetze«, sagte er. Es klang nicht überrascht.
»Die Hexe, von der du uns erzählt hast?« fragte Hun’chua.
»Sie ist hier.« Tol chuk betrachtete einen leeren, schlaffen Sack aus festerem Material. Was immer sich darin befunden hatte, war vermutlich ausgeschlüpft und über den Kundschafter und die anderen Og’er hergefallen. Er schaute zum Tunneleingang zurück. »Die Ku’ukla wissen offensichtlich über Vira’ni Bescheid. Sie haben gewartet, bis unser Clan auf dem Pfad war, dann haben sie alle Fluchtwege blockiert, um uns in das Todesnetz zu treiben, das sie hier für uns aufgespannt hatte.«
»Was machen wir jetzt?«
»Wir gehen vor wie geplant.« Tol chuk wandte dem Eingang den Rücken zu. Er wusste, dass der Tunnel, von dem gelegentlich kleine Seitengänge abzweigten, durch die man zu Postenlöchern, Beobachtungsständen und Lagerräumen gelangte, in Windungen nach oben zur Haupthöhle führte. Er zeigte nach vorn. »Wir brennen den Schädel aus.«
»Wir reinigen ihn mit Feuer«, sagte Hun’chua ernst.
Tol chuk nickte. Er hatte die letzte Begegnung mit Vira’ni nicht vergessen. Die Narben der Spinnenbisse trug er immer noch an seinem Körper. Damals hatten sie zweierlei Feuer gebraucht gewöhnliche Flammen und Kaltfeuer , um die Ausgeburten des Spinnendämons zu zerstören. Das würde heute nicht anders sein.
Er starrte auf das brennende Öl, das den Gang erhellte, und musterte die entstellten Leichen der jungen Og’er. Auch heute Nacht hätten sie zweierlei Feuer: gewöhnliche Flammen und Fer’engata, Herzensfeuer, die ungezügelte Rachgier des geeinten Og’er Volkes.
Tol chuk schritt vorwärts. Seine Augen begannen bereits zu glühen. Er sah, wie eine der aufgeblähten Leichen zuckte, wie sich in ihrem Inneren etwas bewegte. Schon einmal hatte er erleben müssen, wie die Leichen von Vira’nis Opfern neue Schreckenswesen gebaren. Er hob die Stimme und befahl den Nachkommenden streng: »Verbrennt die Leichen! Steckt alles in Brand!«
Hun’chua eilte zu ihm. Hinter ihnen wurde es hell; der stechende Geruch von verbranntem Fleisch stieg ihnen in die Nase. Hun’chua schwang das nächste Paar Ziegenblasen und spritzte flüssiges Feuer in den nächsten Tunnelabschnitt.
Neue Leichen wurden sichtbar. Eine geriet unnatürlich schnell in Brand und zerplatzte. Eine Horde von winzigen Tieren wurde emporgeschleudert, landete lichterloh brennend auf dem Boden und flüchtete nach allen Seiten. Tol chuk marschierte knirschend über sie hinweg. Die Krieger des Toktala Clans folgten ihm.
»Und wo sind nun die Wesen, die unsere Artgenossen hier überfallen haben?« fragte Hun’chua.
Tol chuk dachte nach. Sicher hingen Vira’nis todbringende Gespinstsäcke in jedem Eingang, jedem Postenloch, jedem Beobachtungsstand im Schädel. Waren die üblen Kreaturen erst geschlüpft, dann rannten sie nach innen und töteten alles, was ihnen über den Weg lief.
»Wo sind sie?« wiederholte Hun’chua und schlug nach einem brennenden Skorpion, der auf seinem Arm gelandet war. »Wo ist diese Vira’ni?«
»Da, wo alle Spinnen lauern«, antwortete Tol chuk und zeigte nach vorn, wo sich die Höhle mit Namen Drachenschädel befand. »Im Mittelpunkt ihres Netzes.« Jaston kauerte mit seinen Gefährten unter einer Felskante, die allerdings nicht viel Schutz vor dem Sturm bot. Kalt peitschte der Regen auf sie nieder. Der Wind war stärker geworden und drohte sie vom Weg zu blasen. Den Og’ern schien der Sturm wenig auszumachen. Sie hockten auf dem Pfad wie heruntergefallene Felsblöcke. Das Wasser lief ihnen in Strömen über die zerfurchten Gesichter.
Die zurückgebliebenen Clansmitglieder hielten sich von den Fremden fern. Nicht weit von ihnen säugte ein Weibchen ein Junges und starrte sie mit großen, vorwurfsvollen Augen an. Welcher Fluch den Clan auch getroffen haben mochte, begonnen hatte das Unheil mit Tol’chuks Rückkehr und mit dem Eintreffen seiner seltsamen Gefährten.
Jaston wandte sich ab, um diesen Blick nicht sehen zu müssen. Ein Stück unterhalb bildete ein Trupp aus Jägern und Kriegern ein Bollwerk zwischen ihren Schutzbefohlenen und den Ku’ukla. Jaston bemerkte allerdings auch, dass drei riesige Og’er nicht weit von ihm und seinen Freunden Posten bezogen hatten für den Fall, dass sie sich ebenfalls als Gefahr erweisen sollten.
»Was immer Tol chuk da oben treibt«, sagte Magnam. »Man kann nicht sagen, dass er es heimlich tut.« Der Zwerg trat unter dem
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