Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
vorsichtiger geworden.
Tol chuk wollte nach dem Zwischenfall keinem der anderen mehr die Führung überlassen. Sollten vor ihnen neue Fallen liegen, dann wollte er der Erste sein, der sich damit auseinander setzte. So blieb er immer einen Schritt vor Hun’chua. Irgendwann begann die Fackel des Anführers zu flackern und erlosch. Hun’chua fluchte leise.
Die Dunkelheit vertiefte sich, doch vor sich entdeckte Tol chuk einen schwachen Lichtschein und mahnte die anderen mit leisem Zischen zur Ruhe. Langsam gingen sie noch ein paar Schritte auf das rötlich leuchtende Tunnelende zu, das ihnen wie ein glühendes Auge entgegenstarrte.
Dann blieb Tol chuk stehen.
»Das Drachenauge«, flüsterte Hun’chua scheu. Das Auge war der Eingang, dahinter lag die eigentliche Versammlungshöhle.
Tol chuk holte tief Luft und nahm allen Mut zusammen. Hun’chua legte ihm kurz die Hand auf die Schulter und vermittelte ihm mit dieser kleinen Geste das Gefühl, dass der ganze Toktala Clan hinter ihm stünde.
Er bedeutete den anderen zurückzubleiben und näherte sich allein dem Höhleneingang. Schon nach wenigen Schritten stellte er freilich fest, dass Hun’chua ihm folgte. Er wollte den unerwünschten Begleiter mit einem bösen Blick fortschicken, doch der versetzte ihm einen Stoß, ohne seine drohend zusammengekniffenen Augen zu beachten. Der hünenhafte Og’er hielt die abgebrannte Fackel noch immer wie eine Keule in der Hand.
Tol chuk runzelte die Stirn, aber er gab nach. Die beiden trennten sich und schlichen, jeder an eine Felswand gedrückt, behutsam weiter.
Als Tol chuk auf wenige Schritte herangekommen war, vernahm er leise scharrende Geräusche, als würden tausend Feuersteinklingen über den Fels gezogen. Ein eisiger Schauer überlief ihn.
Noch einmal raffte er sich entschlossen auf, brachte auch das letzte Stück hinter sich und spähte durch das Drachenauge. Was er sah, ließ ihn erstarren, obwohl er geglaubt hatte, auf alle Gräuel gefasst zu sein.
Der Drachenschädel war eine riesige Höhle, die von unten her erleuchtet wurde. Das Auge befand sich auf halber Höhe an einer Wand. Darüber lag die gewölbte Decke. Sie war stellenweise von Sprüngen durchzogen, durch die das Regenwasser eindrang und in hunderten von kleinen Bächen herabrieselte. Von draußen grollte drohend und gewichtig der Donner.
Die Tunnelöffnung war vom schüsselförmigen Boden ebenso weit entfernt wie von der Decke. Zur Mitte hin abfallend, zogen sich rings um die ganze Höhle breite Felsstufen, die den Og’ern bei den Versammlungen aller Stämme als Sitzgelegenheiten dienten.
Tol chuk sah erschüttert, dass diese Sitzreihen nicht leer waren. Tausende von Og’ern lagen zusammengesunken auf den Stufen, einige einzeln, andere in ihren Familienverbänden, wieder andere kreuz und quer übereinander. Und über die reglosen Körper waren seildicke Spinnennetze gespannt.
Tol chuk wurden die Knie weich. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Alle Stämme … sein ganzes Volk …
»Sie sind noch am Leben«, flüsterte Hun’chua eindringlich.
Tol chuk begriff nicht sofort. Doch dann sah er, wie sich die Brust des nächsten Og’ers vor ihm langsam hob und senkte. Der Kopf rollte kraftlos hin und her, und von den schlaffen Lippen rann ein Speichelfaden herab.
Bei genauerer Betrachtung stellte er auch bei den anderen schwache Bewegungen fest und war erleichtert. Sie waren tatsächlich nicht tot, man hatte sie lediglich durch Gift oder Magik in einen künstlichen Schlummer versetzt. Tol chuk richtete sich auf. Solange sie atmeten, bestand noch Hoffnung für sein Volk.
Von der untersten Sitzreihe her ließ sich eine glatte, ölige Stimme vernehmen: »Tol chuk! Sei mir willkommen!«
Tol chuk kniff die Augen zusammen, aber er wusste ohnehin, wer ihn gerufen hatte. »Vira’ni …«
Der Boden der Höhle lag unter ihm wie ein dampfender Kessel. Eine breite Spalte, gefüllt mit glutflüssigem Gestein, teilte ihn in zwei Hälften. Die Flammen, die aus dieser Spalte züngelten, erleuchteten den ganzen Raum.
Die Drachenkehle.
Das Regenwasser tropfte von der Decke auf die Stufen und rann von dort in den Schlund des Drachen, wo es zischend verdampfte und in heißen Nebelschwaden wieder nach oben stieg. Selbst hier am Eingang war die Hitze kaum geringer als draußen in den brennenden Korridoren.
»Nun komm schon, mein sanfter Riese. Spiel nicht den Schüchternen.«
»Lass dich nicht sehen«, zischte Hun’chua, stürmte durch das Auge, bevor Tol
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