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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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Pater Vasili seine Unterweisungen unbeirrt fort, und da er ein echtes Empfinden für die Herrlichkeit des Christentums besaß, fing Cidaq trotz ihres anfänglichen Spotts an, ihm zuzuhören. Besonderen Eindruck machten auf sie die Geschichten, in denen er Jesus als einen kinderlieben Menschen schilderte, denn das war auch eine Eigenschaft der Aleuten gewesen, die sie hier bitter vermisste , und zweimal standen ihr bei diesen Erzählungen Tränen in den Augen, ein Tatbestand, von dem Vasili durchaus Notiz nahm.
    Cidaq ahnte nicht, dass sie im theologischen Gefecht mit ihm einem viel gefährlicheren Gegner gegenüberstand, als es Leutnant Belov oder gar Pater Petr gewesen waren, und so ließ sie sich zunehmend von der christlichen Vorstellung der Erlösung verführen, denn dieser Gedanke war den Lehren des Schamanen und der Mumie vollkommen fremd. Für sie gab es nur Gut oder Böse, Lohn oder Strafe und nichts dazwischen, und die Erfahrung, dass es auch eine andere Sicht auf das Leben gab, in der ein Mensch sündigen, bereuen und Erlösung von seinen Sünden erlangen kann, war neu und bestürzend. Nachdem sie ein paar einleitende Fragen gestellt hatte, die ihr aufrichtiges Interesse bekundeten und Vasili Gelegenheit zu einer leidenschaftlichen Unterrichtung über dieses christliche Grundprinzip gaben, stellte sie unabsichtlich die Frage, die sie erst recht in die komplizierten, aber herrlichen Glaubenswahrheiten der unbekannten Religion verstricken sollte. »Heißt das, dass ein Mensch, der wirklich schreckliche Dinge getan hat, seine Sünden abbüßen kann?«
    »Ja!« antwortete er aufgeregt. »Und Jesus ist gekommen, um genau diesen Menschen zu retten.«
    »Ist er auch auf die Aleuten gekommen?«
    »Er ist überall hingekommen. Und hierher, um deine Seele zu retten.«
    »Diesen Menschen...«, sie zögerte, ließ ihre Frage fallen und starrte eine Weile aus dem Fenster, auf die Fichte. Dann sagte sie in einem leisen Tonfall: »Es gibt ihn wirklich. Er hat mir Schreckliches angetan, aber jetzt will er mich heiraten.«
    Vasili sprang auf, als hätte ihn ein Schlag getroffen, denn er hatte Cidaq auf dreizehn oder vierzehn geschätzt, und in der Gesellschaft, die er von Irkutsk her kannte, heirateten Mädchen in diesem Alter noch nicht. »Wie alt bist du?« fragte er schockiert, und als sie antwortete: »Sechzehn«, schaute er sie an, als würde er sie zum ersten Mal wirklich wahrnehmen.
    Ihre letzte Äußerung enthielt so viele überraschende Neuigkeiten, dass er noch einmal anfangen musste : »Du bist sechzehn Jahre alt?« Ja. »Und ein Mann will dich heiraten?« Ja. »Und er hat sich schrecklich verhalten?« Ja. »Was hat er den Leuten denn getan?«
    Ruhig und beherrscht antwortete sie: »Er hat es mir angetan.« Vasili verschlug es den Atem, denn bis dahin hatte er in ihr nur ein etwas frühreifes Kind gesehen, das durch die ungewohnten Vorstellungen des Christentums aufgewühlt war; jetzt zu entdecken, dass sie bereits im heiratsfähigen Alter war und mit den Schwierigkeiten kämpfte, die damit zusammenhingen, kam für ihn überraschend. Wenn er geahnt hätte, dass sie sich auf ihre eigene, unverbildete Art mit grundsätzlichen moralischen und philosophischen Problemen herumschlug - das Wesen von Gut und Böse -, er wäre höchst erstaunt gewesen.
    Das Gespräch auf der Ebene weiterführend, die er als einzige verstand, fragte er: »Was kann er dir denn angetan haben?« Seine anhaltende Unschuld machte ihn so anziehend, dass Cidaq in ihrer Zuneigung zu ihm erkannte, dass sie bereits um einiges älter war als er und auch erfahrener.
    »Er war sehr hässlich zu mir.« Mehr, dachte sie, würde er jetzt doch nicht verstehen, aber Vasili bedrängte sie weiter, nicht ahnend, dass er eine Explosion auslösen würde, die ihn viel mehr erschüttern würde als sie: »Wie hat er dir weh getan? Hat er gestohlen? Hat er dich belogen?«
    Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie diesem aufrichtigen jungen Mann in die Augen blickte, der ihr seine Religion nahebringen wollte, und auch wenn sie die Güte seines Geistes und den Wunsch zu helfen anerkannte, sah sie doch auch, dass es Zeit wurde, ihm Bereiche des Lebens zu eröffnen, von denen er bislang nichts wusste . Mit ruhigen, nüchternen Worten erzählte sie ihm von der Entvölkerung Lapaks und dem beabsichtigten Untergang der verbleibenden Frauen, und an der Lähmung, die sich über seine Gesichtszüge legten, sah sie, dass er sein Volk einer solchen Grausamkeit

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