Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
Vom Netzwerk:
mehr als das reizende, unschuldige dreizehnjährige Mädchen. Ihre ruhige Stimme drang jetzt wie ein liederlicher Schrei aus einer uralten Vergangenheit an sein Ohr, als schreckliche Geister in der Welt umherzogen und die Seelen der Menschen vernichteten. Er war erschüttert, erfahren zu müssen, dass es in einem Mädchen wie Cidaq eine solche Herzenskälte geben konnte, und er fühlte, wie auch seine eigene sichere Welt in Unordnung geriet.
    Von dem schrecklichen Leid, das man ihr in dem Frachtraum der »Zar Ivan« angetan hatte, konnte er sich keine realistische Vorstellung machen, und über die Erschlagung der drei Männer, die sie vor einer Fortsetzung des Leids an Land bewahrte, konnte er noch als eines der üblichen unfriedlichen Zerwürfnisse hinwegsehen, wie man sie unter Matrosen wohl hinnehmen musste , aber ihr Vorsatz, das Christentum nur zu gebrauchen, um ihre Rache einzufordern, war abstoßend, und die Entdeckung, dass der Schamane sie in dieser Absicht auch noch unterstützt hatte, bestärkte seinen Entschluss , diesen Gegner auf Kodiak auszumerzen. Von jetzt an sollte es ein Kampf auf Leben und Tod werden.
    Zunächst jedoch galt es, sich der geistigen Bedürfnisse dieses Kindes zu widmen, und die Reinheit der eigenen Seele, genährt durch den schlichten Glauben seines bäuerlichen Elternhauses und daher unbefleckt, ließ ihn in Cidaq das erkennen, was sie war: halb Kind, halb schon Frau, tapfer, aufrichtig und erstaunlicherweise durch das Geschehene nicht vergiftet. Sie war, wie er, eine reine Seele, aber wegen ihres Umgangs mit dem Schamanen auch in tödlicher Gefahr.
    Andere Aufgaben vernachlässigend, setzte er seine ungeheure geistige Energie auf die Errettung ihrer Seele ein, und mit ununterbrochenem Beten, mit Ermahnungen und dem Erzählen ausgewählter Geschichten aus der Bibel zeigte er ihr das vollkommene Wesen des Christentums, und da er gesehen hatte, wie sehr sie die Liebe Christi zu den Kindern berührt hatte, betonte er diese Seite, und weil man sie zur Sünde gezwungen hatte, hob er besonders die Botschaft der Erlösung hervor. Christus war jetzt nicht mehr nur derjenige, der den mutmaßlichen Sünder Rudenko erlösen konnte, jetzt konnte er auch Cidaq erlösen.
    Nachdem er ihr so fünf Tage hintereinander zugesetzt hatte, sagte Cidaq ohne Überzeugung, sondern nur um den Priester zufriedenzustellen: »Ich spüre den Ruf Jesu Christi!«, was er als wirkliche Bekehrung deutete und es hinaus in die Welt rief: »Cidaq ist errettet!« Er erzählte es den Geschäftsführern der Handelsgesellschaft, den Matrosen, den verständnislos dreinblickenden Aleuten, dass die Seele des Kindes Cidaq gerettet war, worauf der Händler, der ihrem Würgegriff entkommen war, ihn anknurrte: »Die soll ein Kind sein?!«
    Am Sonntag nach dem Gottesdienst in der einfachen Kirche am Ende der Welt teilte Pater Vasili seiner kleinen Gemeinde mit, dass Cidaq nun unter dem Banner Christi marschiere und dass sie nach dem Gesetz des Reiches einen echten russischen Namen erhalten werde: »Von jetzt ab wird sie nicht mehr bei ihrem hässlichen heidnischen Namen Cidaq gerufen, sondern bei ihrem wunderschönen christlichen Namen, Sofia Kuchovskaja. Sofia bedeutet die Weise, die Gute, und Kuchovskaja ist der Name einer angesehenen Frau in Irkutsk.« Die Bekehrte auf beide Wangen küssend, gab er kund: »Du bist nicht mehr Cidaq. Du bist Sofia Kuchovskaja, und ab jetzt beginnt dein Leben.«
     
    Bereit zu glauben, dass sich in Rudenko lediglich das Schicksal des verlorenen Sohnes wiederholte, wie er es aus der Bibel kannte, der zu viel getrunken und sein Erbe durch ein ausschweifendes Leben, wie es beschönigend genannt wurde, vergeudet hatte, und nicht wahrhaben wollend, dass ein Mensch auch von Natur aus böse sein konnte, sah der junge Priester seine nächste Aufgabe darin, auch den Verbrecher zu bekehren, so wie er Sofia bekehrt hatte, und da er ihn bislang nicht einmal kannte, bat er Leutnant Belov, ihn zu dem dunklen Raum zu führen, in den man Rudenko gesperrt hatte.
    »Bei dem muss man sich in acht nehmen«, warnte ihn der Offizier. »Er hat drei Männer in Sibirien umgebracht.«
    »Es sind solche Männer wie er, die Jesus aufsucht«, antwortete Vasili, und als er sich zu Rudenko setzte, der an Händen und Füßen gefesselt war - man hatte bereits die Anweisung, den Gefangenen mit dem nächsten Schiff auf die Robbeninseln zurückzuschicken -, schätzte Rudenko Pater Vasili auf den ersten Blick richtig als einen

Weitere Kostenlose Bücher