Alaska
verstehen, wie zum Beispiel Onkel Vanya. Nein, sie glich eher einem Teppich von unangenehmer Farbe, schlechtem Gewebe und nicht der geringsten Form. Eine höchst kümmerliche Angelegenheit!
Aber jetzt kommt das Unglaublichste. Damit sie auf dem Kopf blieb, hatte Monsieur Baranov an die Perücke zwei Schleifen befestigt, wie sie französische Bäuerinnen benutzen, damit ihr Häubchen, beim Melken der Kühe nicht verrutscht, und sie unter seinem Kinn zusammengebunden, in einem Knoten so groß wie eine Krawatte. Später, als dieser kleine fette Kerl mit seiner albernen Perücke neben meinem schönen Volya stand und dem jämmerlichsten Haufen Gästen ganz Russlands seine Aufwartung machte - auch nicht ein Gentleman unter ihnen war der Unterschied so grotesk, dass ich mich für Russland schämte und mir beinahe die Tränen gekommen wären. Da stand er in seiner Schlafmütze und neben ihm Volya, aufrecht, schicklich und nie würdevoller in seiner weißen Uniform mit den goldenen Epauletten, die ihm Onkel Vanya geschenkt hat.
Wenn es nach mir ginge, könnten wir Neu-Archangelsk nicht schnell genug hinter uns lassen. Und als ob das alles nicht reicht, erfahre ich jetzt, dass dieser Langweiler Baranov auch noch eine Eingeborene als Frau hat, die er › Prinzessin von Kenai ‹ nennt, weiß der Himmel, wo das liegt. Aber ist das nicht grotesk?
Als ich gegen diese Schändung der Würde Russlands protestierte, erzählte mir mein Informant, dass der ortsansässige Priester, ein Mann namens Voronov, ebenfalls eine Eingeborene zur Frau hat. Was ist nur mit Mütterchen Russland los, dass sie ihre Kinder so vernachlässigt?
Mit dem liebsten Gedenken, immer Eure Euch liebende Tochter,
Natascha«
Die »Muscovy« blieb neun lange Monate in Neu-Archangelsk vor Anker, und von Woche zu Woche ließen Leutnant Ermelov und seine Prinzessin Baranov ihre wachsende Verachtung spüren, machten ihn vor seinen eigenen Leuten lächerlich, indem sie ihn eine niedrige Krämerseele nannten und an allem, was er unternahm, die Stadt zu verschönern, etwas auszusetzen hatten. »Der Mann ist ein unmöglicher Tölpel«, bemerkte die Prinzessin bei einem Fest laut, und ihr Gatte schrieb in seinen häufigen Berichten nach Sankt Petersburg nur geringschätzig über Baranovs Intelligenz, seine Fähigkeit als Verwalter und seine Einschätzung der Stellung Russlands in der Welt. Was noch schwerer wog, in drei getrennten Briefen machte er hässliche Andeutungen und regte so an, Baranovs Verwendung der Regierungsgelder zu untersuchen, etwas, das den Verwalter die nächsten Jahre über verfolgen sollte:
»Wenn man bedenkt, wieviel Geld von unserer Regierung in Neu-Archangelsk reingestopft werden musste , und dann sieht, wie wenig damit erreicht wurde, muss man sich fragen, ob sich dieser emsige kleine Kaufmann nicht einen fetten Batzen für seine eigenen Zwecke beiseitegelegt hat.«
Die Angriffe gegen ihn selbst mochte Baranov noch hinnehmen, schließlich hatte man ihn gewarnt, aber als die Ermelovs anfingen, ihre üble Laune auch an Pater Vasili auszulassen, und ihm Unregelmäßigkeiten vorwarfen, die einfach lächerlich waren, sah sich Baranov gezwungen einzugreifen: »Verehrte Prinzessin, wirklich, ich muss protestieren. In ganz Ostru ss land werdet Ihr keinen aufrechteren Geistlichen finden als Vasili Voronov, und in diesen Vergleich möchte ich Seine Hochwürden, den Bischof von Irkutsk, dessen Frömmigkeit in ganz Sibirien berühmt ist, ausdrücklich mit einschließen.«
»Fromm? Das ja«, gestand sie zu. »Aber ist es etwa nicht anstößig, wenn der führende Kirchenmann eines Gebietes so groß wie dieses ein Weib zur Frau hat, die noch vor kurzem eine Wilde war? Es ist unwürdig.«
Unter normalen Umständen hätte Baranov, nicht gewillt, die Ermelovs auch noch anzustacheln, dieses Urteil unwidersprochen durchgehen lassen, aber in den letzten Jahren war er zu einem leidenschaftlichen Beschützer von Sofia Voronova geworden, für ihn war sie die Verkörperung der verantwortungsbewussten Aleutin, deren Ehe mit einem der Kolonisten das Fundament eines neuen gemischten Volksstamms bildete, der »Russisch-Aleuten«, die das russisch-amerikanische Reich bevölkern und dereinst beherrschen sollten. Als wolle sie mit allen Mitteln beweisen, dass Baranovs Vorhersage zutraf, hatte Sofia bereits einem kleinen Jungen das Leben geschenkt, der Arkady getauft wurde, aber der eigentliche Grund für Baranovs Vorliebe für diese stets lachende, reizende Frau war
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