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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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antworteten: »Wo es Inseln gibt, da muss es auch ein Meer geben, und wo es ein Meer gibt, da gibt es auch Muscheln. Ein Mensch kann sein Erbe in den verschiedensten Formen wiederentdecken.« Mehr sagten sie nicht.
    Am Morgen des vierten Tages trat Azazruk vor sein Volk, das die Nacht draußen vor seiner Hütte verbracht hatte und ängstlich den merkwürdigen Geräuschen lauschte, die aus dem Innern kamen. Hochgewachsen, ausgemergelt, gereinigt, mit tiefliegenden Augen, aber beseelt von einem Feuer, wie er es noch nie erlebt hatte, verkündete er: »Die Geister haben gesprochen. Wir werden in diese Richtung ziehen« und zeigte dabei nach Südwesten.
     
    Die neunzehn Jahre der Wanderschaft, in denen Azazruk sein Volk im südöstlichen Alaska mal hierhin, mal dorthin führte, fielen in eine Zeit, in der auf diesem Erdteil geradezu paradiesische Zustände geherrscht haben müssen. Die Tierwelt war auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, mit einem grenzenlosen Reichtum an stattlichen Vierfüßlern, die sich bestens an die atemberaubende landschaftliche Umgebung angepasst hatten. Die Berge zu jener Zeit waren höher, die wellenförmigen Gletscher mächtiger, die Wildwasser ungetümer. Es war ein Land voller geballter Energie, ein Land, in dem allem etwas Wundersames anhaftete, angefangen beim Winter, der so kalt werden konnte, dass sich die klügeren Tiere in die Erde vergruben, bis zum Sommer, wenn Meere von Blumen die Ebenen füllten.
    Alaska in jenen Jahren war ein Land von ungeheuren Dimensionen; kein Mensch vermochte es alleine von einem Ende zum anderen zu durchqueren, die unzähligen Gletscherströme zu durchwaten und die erhabenen Berge zu überschreiten. Von fast jeder Stelle des Landes aus sah der Wanderer schneebedeckte Bergspitzen, und wenn er sich des Nachts zum Schlafen legte, hörte er das Gebrüll von mächtigen Löwen und das Geheul von Riesenwölfen in der Nähe. Besonders gewaltig waren die Braunbären, in aufrechter Stellung so groß wie Bäume, und sie richteten sich gerne in voller Höhe auf, als wollten sie damit prahlen. Später erhielten sie den Namen Grizzlybär, und von allen Tierarten, die sich menschlichen Behausungen oder von Durchreisenden als Rastplätze errichteten Lagern näherten, waren sie die unberechenbarsten. Wenn sie etwas zu fressen fanden, konnten sie so zahm wie Schafe sein, die an den Hangen der niedrigeren Berge grasten, aber wurden sie enttäuscht oder gerieten sie durch die unvermutete Bewegung eines Menschen in Wut, dann konnten sie ihn mit einem einzigen Hieb ihrer ungeheuren Tatzen in Stücke reißen.
    In jener Zeit also waren die Bären riesig groß, bis zu fünf Meter und noch darüber, und sie verbreiteten Angst und Schrecken, Azazruk dagegen, der gelernt hatte, mit Tieren umzugehen und sie um ihren Rat zu fragen, betrachtete sie als große, tolpatschige, wenn auch unberechenbare Freunde. Nicht, dass er sie bewusst aufsuchte, aber er sprach zu ihnen, wenn sie am Rande eines Lagers auftauchten, und wenn er sie sah, suchte er sich einen Stein, blieb dort ruhig sitzen und fragte sie, wie die Beeren drüben auf den Birken seien und was der Bison gerade treibe, Und die Riesenbären hörten aufmerksam zu und kamen manchmal so nahe heran, dass sie ihn anstupsen konnten, aber witterten, dass er keine Angst hatte, und taten ihm nie etwas zuleide.
    Warum dauerte es neunzehn Jahre, bis diese Eskimogruppe ihre neue Heimat gefunden hatte? Zunächst einmal steuerten sie ja nicht auf ein festgesetztes Ziel hin, sie ließen sich treiben, probierten das Leben mal an diesem Ort, mal an jenem aus. Außerdem waren Flüsse manchmal zwei bis drei Sommer hintereinander überflutet, oder Bergkämme hinderten sie am Weiterkommen. Aber eigentlich war es die Schuld des Schamanen, denn wenn sie an eine Stelle kamen, die ihnen gefiel, dann redete er sich ein, dass sie nun endgültig angekommen wären, und beharrte auf seiner Wahl, bis die Not so groß wurde, dass sie schon aus Gründen des Überlebens weiterziehen mussten .
    Azazruk, ebenso furchtsam wie sein Volk, sich in eine Welt vor zu tasten, die so völlig andersartig war, wurde durch den unermüdlichen Zuspruch seiner Fetische ermutigt weiterzumachen. Wenn er sie in seiner Fellhütte am Meer vor sich ausbreitete, redeten sie nur beifällig über dieses Wagnis. Die eifrigste Unterstützung jedoch erfuhr er von der kleinen Elfenbeinfigur. »Ich glaube«, sagte er eines Abends zu ihr, draußen brandeten die Wellen der einsetzenden Flut, » dass

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