Alaska
aus Kotzebue, hatte die Strecke in vierzehn Tagen, neun Stunden, drei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden zurückgelegt, aber das Ende des Rennens konnte erst eine Woche später deklariert werden, als der sechsundvierzigste Schlittenführer ins Ziel taumelte und die angesehene Auszeichnung entgegennehmen konnte, eine rote Laterne, Symbol für das Licht, das an den Dienstabteilen der Güterzüge aufgehängt wurde, als Zeichen, dass auch der letzte Waggon eingefahren war. Der Letzte war ein Student der University of Iowa, er hatte neunundzwanzig Tage und achtzehn Stunden für das an Strapazen so reiche Rennen gebraucht, und auf seine rote Laterne war er mindestens so stolz wie der Gewinner über seine fünfzig großen Scheine.
Als Rick mit Polar und seinen zwölf anderen Hunden nach Desolation zurückkehrte, wurde er als der Held des Tages gefeiert, und viele Dorfbewohner fanden sich vor »Kensington Kennels« ein, um dem Gespann seine Hochachtung zu bezeugen. Seine ritterliche Tat wurde in mehreren Zeitungen erwähnt, von Seattle bis nach New York, und ein Foto von ihm erschien sogar im »Time Magazine«, unter der Überschrift »Dabeisein ist alles«. Dieses Aufsehen brachte ihm einen Brief von seinem Großvater ein, Malcolm Venn, Aufsichtsratsvorsitzender von Ross & Raglan in Seattle. Es war das erste Mal , dass Rick seit über zwei Jahren wieder von seinem Großvater hörte.
Er zeigte Kendra den Brief, als sie am ersten Abend, nachdem die Besucher gegangen waren, unschlüssig dageblieben war. Sie mochte die männliche Ausdrucksweise, den Stolz, den der alte Mann für seinen Enkel, den Außenseiter der Familie, empfand:
»Als Du in den Norden gingst, habe ich Dir gesagt, Du sollst Deinem Urgroßvater nacheifern. Hab keine Angst, alles Mögliche auszuprobieren, und wenn du mal etwas angefangen hast, dann bring es auch zu Ende, mit Stil. Wir haben Dein Fortkommen beim Rennen durch die spärlichen Nachrichten, die die örtlichen Fernsehanstalten darüber sendeten, verfolgen können und jubelten über Deine Aussicht auf einen fünften Platz, vielleicht sogar einen dritten, aber viel stolzer, mein Junge, sind wir auf Deinen dreizehnten.«
»Ich kriege keine solchen Briefe von meinen Eltern«, sagte sie ohne Selbstmitleid, und als sie ihn jetzt anblickte - die Urkunde, dass er beim Iditarod als Dreizehnter durchs Ziel gegangen war, hinter ihm an der Wand sah sie ihn in einem viel helleren Licht als zuvor: Sie bewunderte, wie er mit den Hunden umging, liebevoll und gleichzeitig streng, wie er ihnen einen festen und verlässlichen Willen zur kämpferischen Leistung anerzog; sie freute sich an seinem respektlosen Humor, und sie schätzte das Porträt einer Familie, das sie aus dem Brief des Großvaters gewann, einer Familie, die durch eine lange Tradition gegenseitigen Respekts eng zusammenhielt. Vor allem aber sah sie in ihm einen stärkeren, gefestigteren Menschen als Jeb Keeler, und etwas von diesen Gedanken musste sich in ihren Augen widergespiegelt haben, denn als sie die Hütte verlassen wollte, nahm er sie bei der Hand und sagte ruhig: »Meinst du nicht, es ist an der Zeit, dass du mal hierbleibst?« Und sie flüsterte: »Ja«, denn in ihm hatte sie einen Mann gefunden, den sie wirklich lieben konnte.
Zurück in ihrer eigenen Wohnung, tat Kendra am nächsten Nachmittag das, wozu sich jeder ehrliche Mensch in ihrer Situation verpflichtet fühlt: Sie schrieb einen offenen Brief an Jeb Keeler nach Anchorage, dankte ihm für seine Freundschaft und erklärte, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hätte. »Ich glaube, die Chance, dass wir jemals heiraten, ist damit vertan, und irgendwie tut es mir leid. Lass uns bei Deinem nächsten Besuch in Desolation darüber reden, denn ich will Dich unbedingt als Freund behalten.«
Als sie den Brief zuklebte, sagte sie laut zu sich selbst mit der Zuversicht, die junge Frauen oft unter solchen Umständen ausstrahlen: »Damit wäre das Kapitel also erledigt.«
Zur selben Zeit geschahen in der Bundeshauptstadt Washington ein paar Dinge, die das Leben nicht weniger Menschen in Desolation durcheinanderbrachten, wobei Kendra am stärksten von allen betroffen war. Der Gang der Ereignisse nahm seinen Lauf, als sich die Regierung der Vereinigten Staaten endlich der Tatsache bewusst wurde, dass die Sowjetunion, Kanada und Norwegen weit mehr über die Arktis wussten als sie. Hektisch bemüht, den Rückstand aufzuholen, wurde vom Präsidenten eine hochkarätig besetzte
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